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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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gelegene Stadt hüllte sich in Nebel. Das Wasser leckte blaugrau an meinen Schuhen. Ein alter Mann saß mit einer Angel, einem Eimer und einem Netz am Ufer. Er hob den Kopf nicht, als ich an ihm vorbeiging.
    Emily konnte Deirdre nicht umgebracht haben. Ich zwang mich, diesen Satz immer wieder zu sagen. Der Schläger war irgendwie in ihr Zimmer geraten. Fabian hatte ihn dort versteckt und Emily gedroht, er würde ihr den Mord an ihrer Mutter anhängen, wenn sie ihm kein Alibi für den vergangenen Freitag gab. Der Druck war für sie, die arme kleine Maus, zu groß gewesen, und sie war weggelaufen. Mir gefiel diese Version. Aber würde sie auch Terry Finchley gefallen?
    Ohne zu überlegen, hatte ich den Schläger angewidert wieder hinter den Heizkörper gestellt, weil ich Emily schützen wollte und niemand erfahren sollte, daß die Mordwaffe sich in ihrem Zimmer befand. Aber ich mußte der Polizei Bescheid sagen. Als ich blind in den Nebel starrte, wurde mir klar, daß alles andere töricht war. Und mein erster Impuls, die Polizei anzurufen, ohne meinen Namen zu nennen, war ebenfalls töricht: Schließlich waren meine Fingerabdrücke auf dem Schläger. Wenigstens war ich nicht so dämlich gewesen, sie wegzuwischen. Möglicherweise waren auch noch die von Fabian drauf.
    Plötzlich merkte ich, daß meine Wangen feucht waren. Ohne daß es mir aufgefallen war, hatte es zu nieseln begonnen. Ich ging zu meinem Wagen zurück, langsam, als hätten sich alle Muskeln von meinen Knochen gelöst.
    Als ich das Polizeirevier durch den Eingang an der Eleventh Street betrat, überkam mich ganz unerwartet ein nostalgisches Gefühl. Das Revier ist ziemlich alt; es gibt dort nach wie vor eine hohe Theke aus Holz, schmale Flure und die trüben Lichter wie in den Revieren, in denen mein Vater damals arbeitete. Ich stellte mir vor, ihn dort am Tresen wiederzusehen, wie er auf mich wartete, um mir nach der Schule ein Eis zu kaufen oder meinen kleinen Kümmernissen mit einem sanften Lächeln zu lauschen, das meine Mutter mir nie schenkte. Ich sehnte mich nach einem Trost, den das Leben nicht für mich bereithielt.
    Der Beamte am Empfang schickte mich ohne ein Lächeln und ohne ein Eis hinauf. Dort saßen ein paar von den Leuten, die ich noch kannte, am Schreibtisch. John McGonnigal, ein Polizeimeister, den ich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen hatte, blickte überrascht auf und rief mir einen fröhlichen Gruß zu. Bobby Mallory, der älteste Freund meines Vaters bei der Polizei, der jetzt nur noch ein Jahr bis zur Pensionierung hatte, sah mich von seinem Büro aus und kam heraus. »Was ist los, Vicki? Möchtest du sehen, wie der schlechtere Teil der Menschheit lebt ? Oder hast du nach gestern abend etwas auf dem Herzen?« Früher war Bobby entsetzt gewesen über meine Berufswahl, inzwischen hat er sich damit abgefunden und gibt sich ungerührt.
    »Es heißt, beichten erleichtert die Seele. Und ich habe was zu beichten.« Bobby warf mir einen mürrischen Blick zu, rief aber Terry in sein Büro. Finchleys Gesicht wirkte irgendwie fahl. Die Selbstsicherheit, mit der er normalerweise auftrat, hatte sich ein wenig abgeschliffen durch die Wellen, die Fabians Einmischung schlugen.
    »Hast du das Mädchen gefunden?« wollte er wissen. »Wir haben die Fluggesellschaften und Buslinien verständigt, dazu die Chicagoer Transportbetriebe, die Taxiunternehmen, und erfahren überhaupt nichts.«
    »Dafür hören wir rund um die Uhr von Clive Landseer, von Kajmowicz und den Medien«, mischte sich Bobby ein.
    »Nein«, sagte ich kurz angebunden. »Aber ich würde euch viel lieber Emily bringen als die Nachricht, die ich für euch habe: Ich habe die Mordwaffe gefunden.«
    Als ich den beiden erklärte, was ich entdeckt hatte und wie, brummte Bobby, aber Terry lächelte düster. »Also hat das Mädchen seine Mutter umgebracht?«
    »Statt Tamar Hawkings, meinst du?« Es gelang mir nicht ganz, meinen Spott zu unterdrücken.
    »Hör zu, Vic. Wir tun unser Bestes mit den Beweisen, die wir haben. Jetzt haben wir die Mordwaffe im Zimmer des Mädchens. Wie ist die da reingekommen, wenn sie sie nicht selber da versteckt hat?«
    »Fabian wohnt auch in dem Haus. Er könnte den Schläger hinter den Heizkörper gelegt haben.«
    »Und sie hat ihn da gelassen? Na, komm schon, Vicki, denk mal drüber nach, was das bedeutet: Hätte sie wohl drei Nächte in dem Zimmer geschlafen, in dem der Baseballschläger mit den Resten vom Gehirn ihrer Mutter versteckt ist?« Bobby

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