Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
Vom Netzwerk:
sie ihren betont körperlichen Stil auch in die Sitzungen einbringt. Aber ich wußte, daß die Frauen von Arc adia sie sehr schätzten.
    Sie las das Gedicht aufmerksam; ihre dunklen Haare verbargen ihr Gesicht, während sie sich über den Bogen Papier beugte. Als sie den Blick wieder hob, runzelte sie die Stirn. »Sagt mir lieber was über den Verfasser. Ist das eine Frau, die Probleme hat?« »Ein Kind mit Problemen.« Ich erzählte ihr, was ich über Emily wußte. »Ich klammere mich an jeden noch so dünnen Strohhalm. Kannst du irgendeinen Hinweis in dem Gedicht finden, daß Fabian ihre Mutter umgebracht hat? Oder wo Emily sich möglicherweise versteckt hat?«
    Ein schwaches Lächeln umspielte Evas dunkle Augen. »Ich bin Sozialarbeiterin, keine Literaturkritikerin. Wenn das Mädchen die Maus ist - und davon können wir, glaube ich, ausgehen -, dann würde sie sicher nicht so verzweifelt über einen anderen Menschen schreiben, auch wenn dieser Mensch vielleicht ihre Mutter ist. Dieses Mädchen fühlt sich von beiden Elternteilen bedrängt. Die Kleine ist diejenige, die in dem Gedicht verletzt wird - die beiden Katzen sind am Ende wieder auf der Jagd.«
    »Dann ergibt das Ganze keinen Sinn. Sie wollte etwas Bestimmtes mit dem Gedicht ausdrücken. Wahrscheinlich ist sie deshalb am Montag in die Schule gegangen. Aber würde sie von ihrer toten Mutter wirklich so denken?«
    Eva klopfte auf das Papier wie auf einen Ball, mit dem sie dribbeln wollte. »Ich glaube eher, daß sie noch nichts vom Tod ihrer Mutter wußte, als sie es schrieb.« »Vielleicht hat sie das Gedicht am Freitagabend geschrieben«, meinte Marilyn und beugte sich ein wenig auf ihrem Stuhl vor. »Deirdre ist gegangen und hat Emily im Stich gelassen. Wenn das, was du über die Familie sagst, stimmt, hat Fabian Emily möglicherweise für Deirdres Flucht verantwortlich gemacht. Vielleicht hatte das Mädchen einfach die Nase voll. Sie kann ihre Eltern nicht konfrontieren. Sie weiß, daß sie Hilfe braucht, wenn auch nicht auf einer bewußten Ebene: Sie kann sie nur indirekt von ihren Lehrern erbitten.«
    »Könnte sein.« Eva nickte. »Deirdre ist tot, und Emily braucht mehr denn je Hilfe. Sie liest also das Gedicht vor versammelter Klasse vor und bricht dann zusammen, weil sie ihre tot e Mutter kritisiert hat. Vielleicht bildet sie sich sogar ein, daß ih re eigenen harten Worte ihre Mutter getötet haben.« »Aber wie ... « Ich führte den Satz nicht zu Ende.
    Wie war der Schläger in ihr Zimmer gekommen? Wenn Fabian tatsächlich die ganze Nacht zu Hause gewesen war... nein. Er hatte Emily dazu gezwungen zu sagen, daß er die ganze Nacht da gewesen war. Es war ziemlich wahrscheinlich, daß einer von ihnen Deirdre umgebracht hatte. Ich wünschte mir natürlich, daß er es gewesen war, nicht seine Tochter, aber so sehr konnte ich es mir gar nicht wünschen, daß ich das umgekehrte Szenario nicht wenigstens durchdachte.
    Ich nahm den Bogen Papier wieder. »Ich hatte gehofft, dadurch irgendeinen Anhaltspunkt zu bekommen - entweder über Fabians Schuld oder über den Ort, an den sie sich geflüchtet haben könnte.«
    »Das Gedicht macht deutlich, daß Fabian Schuldgefühle hat«, meinte Eva. »Aber wieso ... Da müßtest du schon mit dem Mädchen selber reden. Emily sieht sich selbst klein und hilflos. Ich weiß nicht, ob das bedeutet, daß sie sich zu einem mächtigen Menschen flüchten oder sich ein Schlupfloch suchen würde. Deswegen ist sie wahrscheinlich zu dir gekommen, Vic. Du bist ihr vorgekommen wie eine mächtige Außenstehende, die den Katzen etwas entgegensetzen könnte.«
    »Und wegen ihrem blöden Vater habe ich ihr nicht helfen können, als sie mich gebraucht hat«, sagte ich verbittert und stand auf. »Aber sie könnte sich ja auch an eine Lehrerin gewandt haben, die sie aus irgendeinem Grund nicht verrät. Ich glaube, ich geh' noch mal in die Schule und versuche da, mehr rauszufinden. Danke, Eva. Bis zur nächsten Beiratssitzung, Marilyn.«
    In der Hoffnung, daß Emily vielleicht doch in mein Büro geflüchtet war, fuhr ich zum Pulteney, wo mich eine unliebsame Überraschung erwartete. Der Mord in dem Gebäude hatte den Culpeppers noch den allerletzten Rest Geduld geraubt, den sie mit den Mietern gehabt hatten. Das Pulteney war mit Brettern vernagelt. Ein Zettel am Fenster verwies mögliche Nachfrager an eine Telefonnummer in winziger Schrift.

Witterung
    Ich ging in den Coffee-Shop an der Ecke, um die Culpeppers anzurufen, wurde aber statt

Weitere Kostenlose Bücher