Engel im Schacht
Pulteney, um meine Sachen zu holen.«
»Wir haben die Mieter, die gestern dort waren, benachrichtigt. Also sind wir davon ausgegangen, daß Sie das Gebäude freiwillig verlassen haben, was bedeutet, daß Ihr Büro und die Dinge, die sich darin befinden, jetzt uns gehören. Und kommen Sie ja nicht auf die Idee, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen. Wir kennen Sie, Warshawski. Sie sind immer wieder in den Keller, obwohl Tom Czarnik es Ihnen wiederholt untersagt hat, und wir wissen, an wen wir uns wenden müssen, wenn die Bretter an den Türen weg sind.«
»Oder wenn einer von Ihren Computern verschwindet. Zusammen mit Ihren Akten aus zehn Jahren.« Ich hatte keine Zeit, mir meine Papiere durch Gerichtsbeschluß wiederzuholen.
Ich legte auf, als er mir erklärte, er würde sich mit seinen Anwälten in Verbindung setzen, wenn ich es wagte, ihm zu drohen. Ich gab Melba noch einen Zehner und ging mit dem Sandwich und den Pommes zum Wagen. Jetzt hatte ich nur noch drei Dollar und ein bißchen Kleingeld, was mich fast in Panik versetzte. Es würde sicher schwierig werden, etwas von meinem Konto abzuheben.
Ohne große Hoffnung unterhielt ich mich mit dem Zeitungsverkäufer am Kiosk an der Straßenecke, einem unrasierten, zahnlosen Mann mit blutunterlaufenen Augen. Er warf einen Blick auf den Schnappschuß, aber nein, er hatte die Kinder nicht gesehen. Ihm war seit damals, als ihn ein Junge verprügelte, den er beim Ladendiebstahl ertappt und der Polizei verpfiffen hatte, nichts mehr aufgefallen. Das war dreiundachtzig, vielleicht auch fünfundachtzig gewesen, aber egal, wann - seither war er jedenfalls in dieser Hinsicht blind und taub.
Ich verlor nicht nur den Mut, sondern auch den Appetit. Also schenkte ich dem Mann mein Sandwich und die Pommes und fuhr heim.
Ein Bulle geht aus
Endlich hatte Conrad wieder Tagschicht. Um das zu feiern, hatten wir uns zum Abendessen und zum Tanzen im Cotton Club verabredet, aber ich war noch so fertig von den Ereignissen des Tages, daß ich nicht in der richtigen Stimmung war. Also rief ich Conrad an, um zu hören, ob ich mich vor der Verabredung drücken konnte.
»Ich hab' auch einen harten Tag hinter mir, Ms. W., und ich bitte dich auch gar nicht, die große Sause mit mir zu machen, sondern nur, mir zu helfen, daß ich ein paar Stunden die Scheiße vergesse. Vielleicht kann ich ja das gleiche für dich tun.«
Was sollte ich dagegen noch sagen. Als ich ins Bad ging, merkte ich, daß mein Unwille, ihn zu sehen, eigentlich nicht mit meiner Müdigkeit zusammenhing, sondern damit, daß er mit Finchley befreundet war. Denn Finchley, den ich immer gemocht und für einen guten und fairen Polizisten gehalten hatte, führte sich allmählich auf wie ein Feind.
Ich ließ das Badewasser ein und schüttete ordentlich Wacholderöl dazu - angeblich hebt das die Laune. Conrad hatte letzte Woche schon gewußt, was er sagte, als er den Mord an Deirdre den Fall nannte, vor dem er immer schon Angst gehabt hatte. In meinen Gesprächen mit ihm hatte ich in letzter Zeit ziemlich häufig das Gefühl, einen Klumpen Blei im Magen zu haben, wenn es um dieses Thema ging. Ich stieg in das grüne Wasser und inspizierte meine Beine. Neben der linken Kniescheibe entdeckte ich ein paar Besenreiser, Vorboten des nahenden Alters. Die dunklen Ränder am rechten dagegen schienen nur ein blauer Fleck zu sein. Vielleicht gehört ein empfindlicher Magen zu den Vorrechten von Privatpersonen. Es liegt nicht so sehr an der Schwarzweißmalerei der Polizei - Gut und Böse, Richtig und Falsch -, sondern daran, daß Polizisten als erfolgreich gelten, wenn sie viele Menschen festnehmen. Das führt dazu, daß Alter und spezifische Situation nicht zählen, gar nicht zählen können. Also ist die Kluft zwischen Polizist und Privatperson unabänderlich: Die Privatperson kämpft für Gnade, wenn der Polizist Gerechtigkeit will. Und wenn die Privatperson Gerechtigkeit will, kämpft der Polizist für das Recht. Ich schrubbte so heftig an meinen Beinen herum, daß sie schmerzten, als ich mich wieder ins Wasser zurücklegte.
Beim Essen im I Popoli beäugte ich Conrad mißtrauisch. Er wirkte distanziert und einsilbig und achtete nicht sonderlich auf das, was er sagte. Ich war mir sicher, daß er mit Terry über den Fall Messenger und über das Fiasko in meiner Wohnung geredet hatte.
Vielleicht rührte Conrads Niedergeschlagenheit zum Teil auch von seinem Essen her . Sein Arzt hatte ihm beim letzten Check-up geraten, seinen Fettkonsum
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