Engel in meinem Haar - Die wahre Geschichte einer irischen Mystikerin
wirklich Rad fuhr, und das über eine lange Strecke. Ich hielt oft an und gab Marie etwas Wasser über meine Finger in den Mund ein, denn sie konnte ja nicht richtig essen oder trinken, denn wenn sie es versuchte, bestand die Gefahr, dass sich die Geschwulst an
ihrem Kehlkopf bewegte und sie daran ersticken würde. Nach Stunden – es muss um die Mittagszeit gewesen sein – bekam ich Hunger, also hielt ich an, aß ein Brot und trank etwas Wasser. Dann ging es weiter, doch kurz darauf hatte das Fahrrad einen Platten, und das war sein Ende. Ich ließ es an Ort und Stelle liegen und lief zu Fuß weiter, Marie trug ich auf den Armen. Ich presste sie an mich, konnte ihren Herzschlag und ihren schwachen Atem spüren. Es war schon dunkel, als ich das Krankenhaus endlich erreichte. Irgendwie schienen sie zu wissen, dass wir kommen würden. Völlig erschöpft, kaum mehr fähig, einen einzigen Schritt weiterzugehen, stieg ich die Treppenstufen am Eingang hinauf. Eine Schwester erschien und nahm mir Marie ab. Ich wollte sie nicht hergeben. Ich setzte mich im Flur auf einen Stuhl und wartete. Ein Arzt kam heraus und sagte, Marie würde am nächsten Morgen gleich als Erste operiert. «
Am nächsten Morgen kam er dann wieder zu mir, sah mich an, Tränen standen in seinen Augen: »Es war zu spät!«
Auf dem Weg in den OP hatte sich die kleine Geschwulst in Maries Hals bewegt und die Luftröhre blockiert, und Marie war erstickt. Mein Großvater drehte sich zu mir und sagte: »Das hat mich damals sehr verbittert, erst hatten wir Tommy verloren und dann Marie – ich habe nicht mehr an Gott geglaubt und deiner Oma das Leben sehr schwer gemacht.«
Ich sah meinen Opa an, die Tränen liefen ihm über das Gesicht, und ich erblickte Tommy und Marie, sie standen genau vor ihm, streckten ihre Hände aus und berührten seine feuchten Wangen. Ich erzählte ihm, was ich sah: »Opa, Marie und Tommy sind jetzt da, direkt bei dir, du musst nicht weinen.«
Er umarmte mich fest und sagte mit erstickter Stimme: »Das bleibt aber besser unter uns, dass du deinen Großvater hast weinen sehen.«
»Keine Sorge«, lächelte ich zurück.
Im selben Moment wisperten die Engel mir ins Ohr: »Es ist ein Geheimnis!«
Daraufhin versprach ich Großvater: »Ich werde es niemals jemandem weitererzählen.« Und ich habe mein Wort gehalten – bis heute.
Während seiner Erzählung war der Lichtschein um Großvater immer heller geworden, etwa so wie bei anderen Menschen. Mir wurde bewusst, dass Schmerz und Zorn über den Tod seiner beiden kleinen Kinder ihn so bitter gemacht hatten, dass seine Lebensfreude darüber erloschen war. Dann stand er auf und ging zurück in die Remise zu seinem Wagen. Es war, als hätte unser Gespräch nie stattgefunden. Er wurde wieder sein normales Selbst, das Licht um ihn herum verblasste, und ich sah es nie wieder so hell erstrahlen.
Ich war damals noch reichlich jung, doch ich wusste genau, dass ich wieder den Engeln zugearbeitet hatte, dieses Mal hatte ich sie dabei unterstützt, meinem Großvater zu helfen.
Ich genoss den Sommer in Mountshannon sehr und hoffte, wir würden auch den nächsten dort verbringen können. Das Jahr verging schnell und als die Tage länger wurden, konnte ich die Ferien kaum erwarten, um endlich nach Mountshannon zurückzukehren.
Dieses Mal wohnten wir allerdings nicht bei den Großeltern. Wir fuhren an ihrem Haus vorbei, hinunter durch den Ort Mountshannon, weiter in einen der Außenbezirke und stoppten erst vor einem großen Haus mit verwildertem Garten. Es enthielt so gut wie keine Einrichtungsgegenstände – ich erinnere mich nur an einen Tisch, ein paar Stühle und einen Herd in der Küche, die anderen Räume waren vollständig leer, es gab nicht einmal Betten. Doch wir ließen uns dadurch nicht beirren,
betrachteten das Ganze vielmehr als großes Abenteuer und nächtigten in Schlafsäcken auf dem Fußboden.
In jenem Sommer, den wir in dem leeren alten Haus verbrachten, bekam mein Vater von Sally, einer reizenden alten Dame, ein kleines Stück Land in der Nähe von Mountshannon. Es lag hoch oben in den Bergen und der Aufstieg über die Bergstraße war beschwerlich, doch ich liebte es. Sally selbst lebte in einem Häuschen auf dem Nachbargrundstück. Ihr cottage besaß eine der traditionellen Halbtüren, deren obere Hälfte nie geschlossen war. So hörte sie uns immer kommen, stand in der Tür und lächelte uns herzlich zu; manchmal hatte sie eine Katze auf dem Arm. Sie gab uns das Gefühl,
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