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Engel sterben

Engel sterben

Titel: Engel sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ehley
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hockte hinter einer Rosenhecke und warf mit Steinen nach den Autos. Ich fand das nicht in Ordnung, konnte aber nicht …«
    Wieder unterbricht er sich, als sei ihm ein falsches Wort über die Lippen geschlüpft. Ein falsches Wort auf fleischigen Lippen. Fleischerlippen. Iversen. »Der blanke Hans« haben Anja und ihre Freundinnen ihn genannt. Wegen seiner Messer im Sonnenlicht. »Blanker Hans, mach uns Angst«, haben sie gerufen, jetzt fällt es Anja wieder ein. Was den Eltern die Sturmflut war, war den Kindern Hans Iversen. Der Schatten des Bösen auf Erden.
    Der Badegast schiebt Anja an den teuren Geschäften vorbei.
Wempe, Joop, Bulgari
, dann um die Ecke den Strönwai hinauf. Die Schultern eines Bodyguards verdecken Silber und Uhren. Zwei Blondinen sitzen in einem Strandkorb auf Granitpflaster. »Ich müsste vorher mit meinem Mann sprechen«, sagt die eine, während die andere eine Champagnerflasche im Eiswasser dreht und den Menschen vor den Auslagen ihres Geschäftes ein gläsernes Lächeln darbietet. Auf der Straße rücken die Autos im Schritttempo voran. Alle Wagen sind schwarz oder dunkelblau, niemand hupt.
    Ein Leichenzug, denkt Anja. Ein Leichenzug auf einer sonnigen Straße zwischen Steinwällen mit Wildrosenhecken. Der Teufel hält Ernte im Paradies. Da bewegen sich plötzlich die Zweige der Hecke, ein dünner Arm erscheint, krümmt und streckt sich schnell, ein Steinchen fliegt durch die Luft und landet im Fond eines Cabriolets. Ein Hund jault. Der grauhaarige Fahrer bemerkt nichts und unterhält sich weiter mit der blutjungen Blondine auf dem Beifahrersitz.
    Anja stürzt auf Mette zu, reißt sie aus der Hecke. Stacheln schlitzen ihr den Arm auf. Blut tropft auf das blaue Kittelkleid. Mutterblut auf Tochterkleid.
    »Mami, ich mache es bestimmt nicht wieder, bitte nicht schimpfen.«
    Mettes Stimmchen ist weich und flehend, Mettes Körper schmal, die Haare duften nach Sonne und Shampoo. Dünne Arme legen sich um Anjas Hals. Das Kind begreift schnell, dass es ohne Schelte davonkommen wird. Es drückt die Mutter fester. Mettes Uhr, ein Weihnachtsgeschenk der Großeltern, schabt in Anjas Nacken. Die goldene Rolex fällt ihr ein. Der Mann im Streifenhemd. Anja dreht sich um, ohne Mette loszulassen. Der Mann mit dem glatten Gesicht ist weg. Verschwunden. Wie die beiden Mädchen. Anja bekommt Angst vor ihrem eigenen Vergleich.
    »Mami«, sagt Mette, »Mami, ich habe aber nur auf die offenen Autos geworfen. Ganz bestimmt. Ich dachte, ich treffe vielleicht den bösen Mann, und das ärgert ihn dann, und er fährt zum Autozug und ist weg und kommt nicht wieder. Es waren so viele offene Autos, da habe ich vergessen, auf die Uhr zu sehen, sei doch bitte nicht böse!«
    »Ich bin nicht böse …«, beginnt Anja und verstummt gleich darauf, weil ihre Stimme zu sehr zittert. Die Tränen lassen sich nicht zurückhalten.
    »Warum weinst du, Mami?«
    Anja antwortet nicht. Sie nimmt das Kind auf den Arm und drückt es an sich. Nur weg! Über die Straße, vorbei an den Geschäften, vorbei an den Badegästen. Nach Hause, das Kind in Sicherheit bringen und es nie wieder aus den Augen lassen! Hinein ins Haus, die Tür zuschlagen und verriegeln, verriegeln, verriegeln. Immer wieder nachsehen.
    Mette lacht über Anjas Angst.
    »Mami, ich bin doch hier.«
    »Ja, mein Schatz, zum Glück.«
    Die Unruhe lässt sich nicht vertreiben. Nicht durch Griesbrei kochen, Apfel schälen und Tee aufbrühen. Nicht durch Mettes strahlendes Gesicht, als sie ganz unerwartet ihre Lieblingsspeise vorgesetzt bekommt. Die Unruhe lässt sich durch nichts vertreiben.
    Doch.
    Anja könnte Sven anrufen. Er ist ihr Ehemann, er ist Polizist, er ist der Fels in ihrem Leben, er ist immer ruhig und gefasst. Ihm wird es gelingen, sie zur Ruhe zu bringen.
    Svens Handy klingelt ewig, bis er rangeht. Seine Stimme ist so gepresst, dass Anja sie kaum erkennt.
    »Liebster, bist du es?«
    »Anja, es ist jetzt gerade ganz schlecht. Was ist denn los?«
    »Nichts, ich wollte nur …«
    Weiter kommt sie nicht. Im Hintergrund ist ein Dreitongong zu hören, dann die abgehackte Durchsage einer Stimme, deren Worte nicht zu verstehen sind. Nur das vielstimmige Stöhnen aus Männerkehlen, das diesen Worten folgt, kommt deutlich und überlaut durchs Telefon.
    »Sven, was ist das? Was passiert da bei euch?«
    Keine Antwort.
    »Sven!«
    »Anja, wo ist Mette?«
    »Hier bei mir. Darum rufe ich doch gerade an. Vorhin war sie weg, und ich dachte schon …«
    Anja schafft es nicht,

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