Engel sterben
Gedanken!«
»Sei doch mal ruhig, Mami. Haben Tiere eigentlich Warzen?«, erkundigt sich Mette ernsthaft bei Kreuzer.
»Ich weiß nicht. Das Monster hatte also welche?«
»Ja, ganz furchtbar. Wie die Hexe aus meinem Märchenbuch. Nur viel mehr. Es ist ja auch noch böser.«
»Jetzt reicht es aber …«, setzt Anja an, doch dann rutscht sie mit dem Messer von dem Brotlaib ab und schneidet sich in den Daumen, der den Laib von unten gehalten hat. Es schmerzt fast gar nicht, aber ein Schwall Blut läuft auf die Arbeitsplatte, während Anja das Messer aus der Hand gleitet, an der Tischkante abprallt und klirrend zu Boden fällt.
Erschrocken springt Mette auf.
»Mami, hast du dir weh getan?«
»Ist nicht so schlimm, mein Schatz, nur ein kleiner Schnitt.«
Die Tränen in Anjas Augen strafen ihre Worte Lügen.
»Lass mal sehen.« Sven durchquert die Küche, legt schützend den Arm um seine Frau und führt sie zu ihrem Stuhl zurück. Dann tupft er vorsichtig mit einem sauberen Taschentuch um den Schnitt herum, ohne dass es ihm gelingt.
»Wenn da mal keine Narbe bleibt. Vielleicht sollten wir das besser nähen lassen.«
»Frau Winterberg, es tut mir wirklich leid, wenn ich durch meine Fragen das jetzt verschuldet haben sollte.«
»Ach, seien Sie doch still!«
Als sie den scharfen Ton ihrer Mutter hört, fährt Mette zusammen. Forschend, fast ängstlich blickt sie Anja ins Gesicht. Dann wandert der Blick des Kindes hinunter zu der Wunde.
»Aber wenn ein Arzt das näht, dann bleibt da doch auch eine Narbe. Wie bei mir am Knie nach dem Fahrradunfall.« Mette schiebt den Rock ihres Sommerkleides hoch und präsentiert das Knie wie ein Beweisstück.
»Ja, aber sie ist viel kleiner und kann auch besser heilen, weil der Arzt die Haut zusammenzieht«, erklärt Sven.
»Mit so Fäden, das weiß ich noch. Aber die Striche von den Fäden auf meinem Knie sieht man immer noch, das ist …«
Plötzlich hält Mette inne. Schreck spiegelt sich in ihrem Gesicht, auf das jetzt alle Augen gerichtet sind.
»Ja?«, ermuntert Kreuzer sie vorsichtig.
»So eine Narbe, so eine mit Strichen dran, so eine hatte das Monster auch.«
»Bist du sicher?«
Mette nickt. Dabei kaut sie an ihrer Unterlippe, als müsse sie sich konzentrieren.
»Mette?« Sven Winterbergs Stimme ist leise und eindringlich. »Ich gehe jetzt mit Mami ins Bad und mache einen Druckverband, damit es aufhört zu bluten. Wir sind gleich wieder zurück. Kannst du so lange hier bei Bastian bleiben und überlegen, wo genau die Narbe war und ob du vielleicht eine solche Narbe schon mal gesehen hast?«
»Da muss ich gar nicht überlegen, das weiß ich auch so ganz genau. Die Narbe war oben an der Stirn. Da, wo bei den alten Männern die Haare ausfallen.«
»Das Monster hatte Haare?«, erkundigt sich Kreuzer ruhig.
»Nein, das Monster doch nicht, dann müsste es ja regelmäßig zum Friseur gehen, das wäre vielleicht komisch.«
Mette bricht in ein hysterisches Lachen aus und kann kaum aufhören.
»An wessen Haare hast du denn gedacht?«
»Na an die von dem Mann im Auto. Der neben Lise. Der hatte auch so Haare, die schon ausgefallen sind. Eigentlich hat er eine Kappe getragen, aber dann ist er ja so schnell weggefahren, weil ich die Steine geworfen habe. Und dabei ist ihm die Kappe vom Kopf gerutscht.«
Anja und Sven stehen immer noch an der Tür. Aufmerksam sehen sie erst ihre Tochter und dann Bastian Kreuzer an. Kreuzer nickt ihnen ruhig zu, bevor er die entscheidende Frage stellt:
»Und er hatte eine Narbe?«
»Ja, hatte er. Ganz vorn oben auf der Stirn. Sie war groß und irgendwie buckelig.«
»Kannst du sagen, wie groß?«
»Vielleicht so.«
Mette zeigt mit beiden Händen einen Abstand von etwa sechs Zentimetern.
»Das ist aber lang für eine Narbe«, gibt Kreuzer zu bedenken.
»Ja, so war das aber. Ich habe das vergessen, vielleicht weil der Mann seine Kappe gefangen und gleich wieder aufgesetzt hat. Aber jetzt fällt es mir wieder ein. Wirklich. Es sah eklig aus, ich wollte gar nicht hingucken. Ich habe noch gedacht, dass ich Lise fragen muss, was ihr Onkel sich da getan hat.«
»Ihr Onkel?«
»Ich habe doch gedacht, das ist ihr Onkel. Das habe ich dir aber schon erzählt.«
»Ja, stimmt, jetzt erinnere ich mich wieder.«
Kreuzer fährt sich mit der Hand übers Gesicht, es ist eine Geste, die die Anspannung der letzten Sekunden wegzuwischen scheint. Als er die Hand sinken lässt, strahlen seine Züge eine ruhige Sicherheit aus.
»Mette, kann ich
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