Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)

Brücken … Kovacs hatte recht: Das sah wie auf einem Schlachtfeld aus. Er dachte an ihr Gespräch vom Vortag. An die friedliche Stimmung im Büro, die gelöste Atmosphäre, in der sie sich beide einiges von der Seele hatten reden können. Verklausuliert natürlich, im Rahmen des dienstlich Zulässigen natürlich, aber immerhin. Immerhin wusste er jetzt darüber Bescheid, dass so gut wie die gesamte Dienststelle annahm, er wäre in Schäfer verliebt; er hatte erfahren, dass Kovacs nicht die Einzige war, die den Major wechselweise mit überirdischen und unterweltlichen Mächten in Verbindung brachte; dass Schreyer sich eins der kleinen Kreuze aus Schäfers Fan-Schachtel geklaut hatte, um etwas von dessen mystischer Energie abzubekommen; dass sich einige Kollegen etwa nicht aus Neid oder Hochmut von Schäfer distanzierten, sondern nur, weil sie zu viel Respekt oder auch Angst vor ihm hatten. Angst? Vor diesem Wirrkopf, der mich anbettelt, dass ich ihn am Samstag zum Ikea mitnehme, fragte sich Bergmann jetzt. Den ich völlig besoffen in den vierten Stock hochgeschleppt habe, weil er unter keinen Umständen in den Lift steigen wollte? Andererseits: die Personen, die ihnen beiden während dieser und anderer ungenannter Ereignisse begegnet waren: Hätte er an ihrer Stelle nicht auch Angst bekommen beim Anblick dieses Menschen, dessen perfekt sitzender Anzug wohl einen Rechtschaffenheitsbonus zu geben imstande war, der durch die unter dem Jackett hervorblitzende Waffe jedoch schnell ins Minus rauschte? Der Schaffner musste ihm auf die Schulter tippen, um die Fahrkarte zu erhalten. Ja, ja … sagt nur, dass ich Scheuklappen aufhabe; dass ich sein Pudel bin; ihr habt doch keine Ahnung, wer er wirklich ist, keine Ahnung habt ihr!
    Kurz vor Wels rief er Lorenz an und berichtete ihm von einem Chalet, das in der Nähe von Artillon stünde und angeblich dem Vizepräsidenten des BOG gehörte. Kümmern wir uns darum, erwiderte Lorenz und legte auf, bevor Bergmann die Gelegenheit hatte, ihm mitzuteilen, was ihm eigentlich am Herzen lag: dass sie bitte ihn aus dem Fall ausschließen sollten, weil ihn das alles überforderte und zu sinnlosen Aktionen verleitete. Er war nicht fähig, vielleicht nicht schlau, nicht fantasievoll, nicht flexibel genug, um sich in diesem Fall – der ja nicht einmal ein einzelner mehr war – zurechtzufinden. So grotesk es ihm erschien, doch er sehnte sich zurück zu seinen Schlägern, Messerstechern und Mördern; die waren so banal, so primitiv in ihren Trieben und Motiven … die konnte er verstehen.
    Aber ein paar Hundert oder sogar Tausende Menschen zu töten, um damit eine neue Weltordnung einzuleiten: wie das funktionieren sollte, konnte er nicht verstehen. Auch wenn oder gerade weil er die FBI -Akte über geistesverwandte Terroristen gelesen hatte: Außer einem Haufen Leichen hatten die doch nichts zustande gebracht; die Welt hatte nicht aufgehört sich zu drehen, die Menschen standen immer noch in der Früh auf, putzten sich die Zähne, fuhren zur Arbeit, kamen heim, freuten sich auf das Wochenende. Was war denn los mit diesen Leuten? Eisert, Foster, Breiler: die hatten hochbezahlte Jobs gehabt, keiner auf unter hundert Quadratmetern gewohnt, rechtschaffene Steuerzahler mit einwandfreiem Leumund, gesellschaftlich integriert, wie man so schön sagt … aber das hatten die französischen und Schweizer Behörden wohl auch von den Mitgliedern des Sonnentemplerordens behaupten können … und dann waren die Leichen vor ihnen gelegen.
    Die Durchsage des Fahrdienstleiters durchbrach Bergmanns Gedankenstrom: Sehr geehrte Fahrgäste, aufgrund einer Betriebsstörung im Bereich der Arlbergstrecke wird unser Zug nur bis Imst/Ötztal geführt. Fahrgäste mit Reiseziel Feldkirch/ Zürich bitten wir, in Salzburg auf die Linien der Deutschen Bahn umzusteigen. Für Abfahrtszeiten bitten wir Sie, die Ansagen am Bahnsteig zu beachten. Für weitere Informationen steht Ihnen das Zugpersonal gern zur Verfügung. Betriebsstörung? Bergmann klappte seinen Laptop auf und öffnete den Internetbrowser. Überschwemmungen und zahlreiche Erdrutsche von Vorarlberg bis Innsbruck, Zugverkehr zwischen Imst und Feldkirch eingestellt. Auch in Bayern verschärft sich die Hochwassersituation dramatisch … Die Flüsse werden schwellen, die mächtige Flut, murmelte er, hoffentlich schwemmt es euch Vollidioten den Sprengstoff weg. Gut, umdisponieren. Wen kannte er in Salzburg? Schäfers Bruder. Sigrist, den Privatdetektiv. Kitzbühel war