Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
nicht die übliche Strecke fahren würde, sondern über Zell am See, weil eine Mure und so weiter. Bergmann trug’s mit Fassung. Ob er die folgende Nacht in einem Hotel in Kitzbühel verbrachte oder in einer Pension auf dem Weg dorthin, war ihm egal.
Drei Stunden später stieg er in Kitzbühel aus dem Bus, räumte seine Tasche aus dem Gepäckfach, sah sich um und ging ohne lange zu überlegen ins Hotel gegenüber dem Bahnhof. Er bekam ein südseitig gelegenes Zimmer im obersten Stock. Nachdem er seine Sachen verräumt hatte, nahm er eine Limonade aus der Minibar und stellte sich auf den Balkon. Zu seiner Rechten sah er die Kitzbüheler Ache, die er als ruhigen, klaren Bach in Erinnerung hatte. Und jetzt: eine braune, tosende Flut, aus der im Sekundentakt riesige Äste, Möbelteile und einmal sogar ein Fahrrad auftauchten und brutal wieder nach unten gedrückt wurden. Noch ein ordentlicher Regenguss und baba, die Gams, sagte sich Bergmann; wobei den Kitzbühelern durchaus zuzutrauen war, dass sie über ein ausgeklügeltes Kanalsystem verfügten, um das Wasser in die umliegenden Gemeinden zu leiten und so die Gäste nicht zu vergraulen. Wobei: Vorurteile. Er war ja erst einmal hier gewesen, vor vier Jahren, als Kamp Schäfer warum auch immer zur Aufklärung einer Mordserie nach Tirol beordert hatte. Der Oberst hatte damals mit einem Cognacproblem zu kämpfen gehabt, der Major mit sich selbst, und der Chefinspektor mit den Konsequenzen. Ein hochkomplexer Fall, bei dessen Aufklärung Schäfer und seine Kollegen vor Ort ein paar saubere Kitzbüheler Fassaden abgerissen und sehr hässliche Innenleben freigelegt hatten. Und der Mörder? Bergmann schüttelte immer noch mit dem Kopf, wenn er daran dachte, dass ausgerechnet … sein Handy, Lorenz.
„Wo bist du? Alles klar? Hast du die Gummistiefel an?“, rief Lorenz ins Telefon, um die aufgeregten Stimmen im Hintergrund zu übertönen.
„In Kitzbühel“, Bergmann ging ins Zimmer zurück und setzte sich aufs Bett, „… frag mich nicht, warum.“
„Hansi-Hinterseer-Fanwanderung? … Nein, die ist erst im August … hoffentlich kann ich meiner Frau das heuer ausreden … pass auf: Breiler. Der war Waise und ist 1977 von einem Verein namens Indigo aufgenommen worden. Bis 1988 ist er in Genf in einer Privatschule unterrichtet worden, die diesem Verein gehört … und …“
„Und das BOG finanziert Indigo seit Jahren mit großzügigen Spenden …“
„Seit Jahrzehnten, um genau zu sein … die Gründung der beiden Vereine liegt nur ein Jahr auseinander, 1975 das BOG , 1976 Indigo … und jetzt halt dich fest: Wer war drei Jahre lang der Lehrer von Josef Breiler?“
„Jean Plier, auch bekannt unter dem Namen Marsant“, folgerte Bergmann.
„Chapeau, Monsieur … wir haben uns mit den Schweizern und Franzosen kurzgeschlossen … die haben ein ehemaliges Mitglied des Sonnentemplerordens befragt, das den Exitus in Granges-sur-Salvan überlebt hat … der Mann hat ausgesagt, dass Plier ab Mitte der Achtziger im Auftrag von seinen Kapos Jouret und Di Mambro damit befasst war, aufgestiegene Meister und Lichtwesen zu finden und sie an den Orden zu binden … diese Indigo-Internate in Genf, Lausanne und Zürich sind offenbar so etwas wie eine Rekrutierungsquelle für Plier und die Sonnentempler gewesen …“
„Und das Waisenkind Breiler hat sich diesen ganzen Quatsch von Kindheit an einreden lassen und ist irgendwann zum Lichtmeister oder Erzengel mutiert … zu Josef …“, Bergmann hatte mittlerweile den Überblick verloren.
„Jophiel … ja, wie genau das gelaufen ist, wissen wir noch nicht … auf jeden Fall klopfen wir jetzt alle Schüler dieser Anstalten ab und schauen, ob sich was ergibt …“
„Okay … was ist das eigentlich für ein Lärm bei dir?“
„Die Versammlung von, warte … bis jetzt knapp zwanzig Wiener Anwälten, die sich aufpudeln, weil wir dem BOG den Arsch aufreißen …“
„Na dann viel Spaß … und wenn ich dir bei irgendwas behilflich sein kann …“, sagte Bergmann pro forma.
„Besuch diesen Hotelier, diesen Vötter, und schau, was mit dem los ist!“
„Hab ich ohnehin vorgehabt“, log Bergmann, doch Lorenz hatte schon aufgelegt.
48.
Er verbrachte fast eine halbe Stunde unter der Dusche. Was für eine Energie- und Wasserverschwendung! – Auch wenn er nicht dafür bezahlen musste, mahnte er sich alle paar Minuten, dass es jetzt genug wäre. Und streckte Brust und Gesicht von neuem dieser Wohltat hin, dieser Wärme und
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