Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
mit der Serviette über den Mund.
„Ha … unsere Graffl-Wetti … hat wieder einmal recht g’habt! Bist von der Polizei, stimmt’s?“
„Erstens: Keine Ahnung. Zweitens: Ja …“
„Sepp … Rohrschacher“, freudig grinsend streckte der Mann seine Pranke über den Tisch, „… kannst Sepp sagen.“
„Chefinspektor Bergmann … Sie können Inspektor sagen …“
„Ja die Wetti, die täuscht sich selten … und letzte Woche … dass einer aus der Stadt kommt, der wird den Johannes schon finden, hat sie gemeint …“
„Den Johannes … den Major Schäfer“, riet Bergmann und hatte plötzlich ein Bier vor sich stehen, das wohl von Sepp Rohrschacher geordert worden war.
„Sicher … jetzt geht er euch schon über einen Monat ab, oder?“
„Ungefähr, ja“, erwiderte Bergmann, der sich endgültig dem Gefühl ergab, ein Tennisball zu sein; hin und her geschlagen zwischen zwei Parteien, Schäfer und Plier, das BVT und das BKA , Vernunft und Wahnsinn, Engel und Dämonen, die Sterne und … dieser Holzfäller, der nun zwei Vogelbeerschnäpse bestellte.
49.
Nachdem sie bis kurz vor Mitternacht beim Freilegen von vermurten Straßen und verstopften Bächen, beim Auspumpen von Kellern und Geschäften sowie bei der Evakuierung alter Menschen geholfen hatten, wurden sie in der Turnhalle einer Lustenauer Schule einquartiert. Während des gesamten Einsatzes waren sie von Vorarlbergerinnen und freiwilligen Helferinnen aus Deutschland mit mehr belegten Broten, Fleischknödelsuppe und Schnittkuchen versorgt worden, als sie zu sich nehmen konnten. Zigaretten waren Mangelware, aber die wären bei der Arbeit ohnehin gleich erloschen. Er konnte sich nicht erinnern, jemals solche Hochwasserschäden gesehen zu haben. Ja, natürlich kann ich mich nicht erinnern. Aber so etwas habe ich bestimmt noch nie erlebt. Solche Bilder wären hängen geblieben. Seit er Ruth am Bahnhof von Montreux verlassen hatte, waren immer mehr Fragmente seiner letzten zwanzig Jahre aufgetaucht, vor allem im Schlaf. Doch die Bilder, die ihn bestürmt hatten, waren alles andere als erleichternd oder beruhigend gewesen. Sie hatten ihm vielmehr die Gewissheit verschafft, dass er wirklich ein Verbrecher war. Schlimmer noch: ein Mörder. Die Männer, die er sterben oder bereits tot sah, ein paar ihrer Namen fielen ihm ein: Breiler, den hatte er erschossen, oder? Dann diesen Hageren mit dem Schnauzer und den tief liegenden Augen – Sinkowitsch? Vielleicht. Er hatte ihm den Kehlkopf eingeschlagen, einfach so. Und die anderen? Die erstochen, erdrosselt, verbrannt, erhängt … wie rachsüchtige Dämonen hatten sie sich in seinen Träumen über ihn gebeugt. Während er mit elenden Rückenschmerzen und Blasen an den Händen Schlamm wegschaufelte, ließen sie ihn in Ruhe. Doch das würde er nicht ewig machen können. Welchen Sinn ergab sein Leben eigentlich noch?
50.
Er wurde von einem lauten, brummenden Geräusch geweckt. Mit dem Gesicht lag er auf einem kalten grauen Steinboden. Er wollte aufstehen, musste jedoch feststellen, dass er sich nicht bewegen konnte, da er in einer Hülle aus schwerem und muffig riechendem Stoff steckte. Eine leichte Panik erfasste ihn, mit Händen und Füßen begann er gegen sein Gefängnis anzukämpfen. Da hörte das monotone Brummgeräusch auf und er sah ein Paar weiße Gesundheitssandalen vor sich. Eine Frauengestalt ging neben ihm auf die Knie und rollte ihn aus seinem Gefängnis, während sie in einer slawischen Sprache etwas vor sich hin brummte, das Bergmann als Flüche deutete. Nachdem sie ihn befreit hatte, richtete er sich auf und schaute sich um. Er befand sich auf dem Gang vor seinem Hotelzimmer, neben ihm eine Putzfrau mit einem Ungetüm von Staubsauger. Sein Kokon war ein schwerer roter Läufer, der gestern noch den Steinboden bedeckt hatte.
„Verdammt, Bergmann“, sagte er zu sich selbst, „so würde sich nicht einmal Schäfer aufführen.“
Er stand auf, griff in seine Jacketttasche, fingerte einen zerknitterten Geldschein heraus und gab ihn seiner Befreierin mit der Bitte, ihm sein Zimmer aufzusperren. Etwas besänftigt zog sie ihre Universalkeycard aus der Tasche und trat an seine Tür, wobei sie immer wieder etwas wie „Musch, Musch, Musch“ murmelte, was Bergmann als „Männer, Männer, Männer“ interpretierte. Er bedankte sich und ging in sein Zimmer. Dort leerte er seine Hosen- und Jacketttaschen und legte den Inhalt neben seinen Laptop. Sein Telefon, die Keycard, ein paar Münzen, ein
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