Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
Tobsuchtsanfall bei Eintreffen der Unfallsmeldung: Ich habe Ihnen immer schon gesagt, dass Autofahrer alles Idioten sind, Frauen wie Männer, schauen Sie sich diese Volltrottel doch an, von denen kann doch keiner verlangen, dass sie die Geschwindigkeitsbegrenzung einhalten, wo die nicht einmal bis zehn zählen können, da, mein Gott, der alte Knacker da rechts in seinem Subaru, da lasse ich mich lieber von einem Orang-Utan chauffieren, ja, glotz noch dümmer, Opa, wenn deine Hirnmasse TNT wäre, würde es nicht ausreichen, um deinen beschissenen Tiroler Hut zu lüpfen. Dann: einem Autofahrer zwei Zigaretten abgeschnorrt und auf ex geraucht. Dann: Da scheiß ich drauf, Bergmann, keine fünf Minuten bleibe ich da noch. Und dann: Über die Leitplanke gestiegen, die Böschung hinuntergestolpert, einen Purzelbaum geschlagen, den Anzug zerrissen, im Schnellschritt über das stachelige Maisfeld, auf die Landstraße, das erstbeste Fahrzeug angehalten. Dessen Fahrer machte allerdings überhaupt keine Anstalten zu bremsen, als Bergmann auf die Straße trat und seinen Ausweis in die Höhe hielt. Im Gegenteil: der riss den Wagen nach links und schoss mit quietschenden Reifen an dem verdutzen Bergmann vorbei. Du Drecksau!, schrie dieser dem Wagen hinterher, ich habe deine Nummer! Eine Salzburger Nummer. Auf einem dunkelblauen Van. Nicht wirklich. Der Sauhund. Den eigenen Kollegen fast über den Haufen fahren. Du Sauhund!
Das war: ER ! Das war: Bergmann! Was machte der in diesem Zustand auf diesem besseren Feldweg? Schäfer zitterte, nahm das Tempo zurück; um ein Haar hätte er ihn überfahren. Wieso stand Bergmann hier völlig verdreckt und hielt seinen Ausweis in die Luft? Sollte er umdrehen und ihn mitnehmen? Nein. Eine Streife vorbeischicken? Wie denn – er hatte nicht einmal ein Telefon. Außerdem konnte das doch kein Zufall sein … der war hinter ihm her; der Wagen; Bergmann hatte mit Jakob telefoniert; aber wie hatte er ihn orten können? Und wieso stand er allein hier, ohne Verstärkung, ohne Wagen? Schäfer begriff es nicht. Nicht, wie sein Assistent dort hingekommen sein mochte, noch, wie er zu ihm stand. Freund? Feind? Er wollte sein zerrüttetes Gehirn in eine Zentrifuge stecken, um die Teile dorthin zu schleudern, wo sie hingehörten. Das braucht Zeit, hatte Doktor Hofer gemeint, Wochen, Monate, Jahre, wenn es sein will. Schäfer hatte das Gefühl, nicht einmal mehr eine Stunde zu haben. Er musste etwas tun. Was genau, war ihm nicht klar. Die Welt retten? Damit könnte ich mich rehabilitieren, murmelte er und fuhr auf die Landstraße Richtung Tulln.
„Was machen Sie mit den Ziegen?“, fragte Bergmann und kam sich vor, als wäre er irgendwo auf einer einsamen Landstraße in Südamerika. In Patagonien vielleicht, was ihm nicht einmal als die schlechteste Alternative erschien.
Die Frau grinste, ohne ihn anzusehen, und schaltete in den vierten Gang, was den alten Pick-up mit den drei Ziegen auf der Ladefläche immerhin auf etwa 60 km/ h beschleunigte.
„Fahr nach Schönbrunn mit den Sauviechern, in den Tiergarten … damit sie einmal sehen, wie gut es ihnen bei mir eigentlich geht …“
„Ach“, Bergmann wusste nicht, ob es sein zerrissener und verdreckter Anzug war, der sie dazu veranlasste, ihm dem gehörigen Respekt zu verweigern – immerhin hatte er seinen Ausweis gezeigt –, oder ob sie schlichtweg verrückt war.
„Ich kann Ziegenmilch nur trinken, wenn sie ganz frisch ist … sobald sie diesen Bockgeschmack hat, speib ich mich an … beim Käse genauso …“, er kurbelte die Seitenscheibe herunter und spuckte hinaus.
„Stadtleute“, erwiderte sie und hielt Bergmann eine Zigarette hin, die dieser ablehnte.
„Anzünden sollst du sie mir, nicht rauchen …“
„Nur wenn ich auch eine nehmen darf“, antwortete Bergmann trotzig und bediente sich aus der Schachtel, die in der Einbuchtung lag, wo eigentlich das Radio hingehörte.
„Aber das Fenster machst wieder zu“, ermahnte sie ihn, „sonst fliegt die Asche den Viechern in die Augen und das mögen sie gar nicht.“
„Verstehe“, Bergmann kurbelte das Fenster wieder hinauf, steckte sich die zwei Zigaretten in den Mund, zündete sie an und hustete.
„Nix gewohnt, die Stadtleute“, sagte die Frau kopfschüttelnd.
Schäfer parkte vor einer Bäckerei in einer Parallelstraße zu Wielands Ordination. Bevor er ausstieg, sah er sich eine Zeitlang im Rückspiegel an. Hatte er eigentlich schon einmal einen Vollbart getragen? Eher nicht. Dieses
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