Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
diesem Spiel mehr als nur verdeckter Ermittler wäre. Wobei: Kamp, Kovacs, Schreyer, Leitner … sie hätte es gar nicht gebraucht. Er selbst, Chefinspektor Bergmann – der gerade eine weitere Radaranlage auslöste – hätte eins und eins zusammenzählen und rechtzeitig die erforderlichen Schritte einleiten können. Aber nein, er musste ja sein emotionales Wellental mit Martin durchschreiten und beim Abtauchen unter die Kummergrenze den Überblick verlieren; sich mit Leitner und den geschätzten Kollegen der Gruppe Bruckner den Verstand wegsaufen und tags darauf im Drogenrausch durchs Waldviertel delirieren; in seiner beamtenmäßigen Borniertheit alles, was er nicht begriff, als harmlose Spinnerei abtun, als esoterischen Schabernack ein paar verirrter Seelen, von denen keine Gefahr ausgehen konnte. Dazu die Informationen des Privatdetektivs Sigrist schlampig verwerten (Welches Auto? Schäfer besaß keines. Sieht man das Kennzeichen auf den Bildern?), weil er nach nur zwei Stunden viel mehr an dessen Avancen interessiert gewesen war als an seiner Arbeit. Und die Videos, die Leitner im Internet gefunden hatte: 28. Mai, Donaukanal, im Vordergrund toben sich ein paar Skateboarder aus, dahinter sitzt Major Schäfer weggetreten auf einer Bank. Weshalb? Nun, einem aufmerksamen Polizisten wäre wohl aufgefallen, dass an jenem Abend in unmittelbarer Nähe ein zur Fahndung ausgeschriebener Serienmörder durch einen Schlag gegen den Kehlkopf getötet worden war. Wie hatte er das übersehen können?
Und jetzt, nachdem er eine gute Stunde mit Pfarrer Danninger und Schäfers Bruder telefoniert, nachdem er sich das Gespräch mit Rohrschacher ins Gedächtnis gerufen hatte, fielen die Schuppen so heftig von den Augen, dass sie ihm in Gemeinschaft mit den Regentropfen auf der Windschutzscheibe schon fremdgefährdend die Sicht nach außen nahmen. Schäfers Berufswahl als Erweckungserlebnis, nachdem er mit achtzehn Jahren den Selbstmord eines jungen Mädchens gerächt hatte, indem er den Tochterschänder zur Selbstanzeige gefoltert hatte? Seine, zugegeben überragenden, kriminalistischen Fähigkeiten als Gottesgabe, wie er es dem Pfarrer in manch trunkener Stunde hatte weismachen wollen? Hatte er das etwa selbst geglaubt? Da hätte doch schon früher jemand die Männer mit den weißen Hosen schicken müssen. Doch jetzt, bitte hier kurz innehalten, um Bergmann nicht gänzlich der Ignoranz zu zeihen: Er hatte Schäfers selbstherrliche Kundgaben schließlich jahrelang hingenommen; seine Anrufe, wenn ihm in finsterer Nacht ein Licht aufgegangen war („Bergmann, ich bin ein Genie!“, „Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“); seine Kommentare nach Abschluss eines komplizierten Falls („Die Fee hat sich tatsächlich über meine Wiege gebeugt“; „Ich bin der Würgeengel der Gerechtigkeit! Ein Gottgesandter, zu rächen die Unschuldigen“); dazu die neidischen Bemerkungen der Kollegen („Geistreich sind die seelisch Armen“; „Je blinder das Huhn, desto zahlreicher die Körner“); dazu die Schleimereien der Presse („Kriminalistisches Gespür“; „Wieder einmal seinen sixth sense bewiesen“). Damit fand sich Bergmann seit über zehn Jahren ab, gleichwohl er wusste, dass Schäfer ohne ihn nicht einmal eine funktionierende Schreibtischlampe hätte. Doch die anderen, die sahen einen Helden, ein Genie, einen Polizisten von Gottes Gnaden … das belegten ja nicht zuletzt die sakralen Gaben in Schäfers Schreibtisch: Kreuze, Amulette und Kristalle, um seine Aura zu stärken, um das Wüten der Dämonen an diesen Schutzschilden abprallen zu lassen … wer konnte es dem Major verübeln, sich beizeiten diesem auch von der Außenwelt herangetragenen Größenwahn hinzugeben; und sei es nur, um ein Gegengewicht zu schaffen zur Verzweiflung und Depression, die im Nachtschatten dieser strahlenden Erfolge wucherten. Wem der Herr die Gabe gibt, dem steckt er auch die Geisel zu … noch so ein Spruch, den Schäfer immer wieder bemüht hatte … als wäre er ein Künstler, ein Genie, Abkömmling einer anderen Welt und Zeit, auf die Erde gesandt zu richten … diesen metaphysischen Irrwitz konnte er doch nicht ernst genommen haben, oder? Sie waren Polizisten, Kriminalisten, Wissenschaftler bestenfalls, wenn man in Betracht zog, wie sehr sie sich auf empirische Beweise zu stützen hatten … wobei Empirik: Wenn Schäfer ein Fingerabdruck oder eine DNA -Analyse nicht in den Kram passte, konterte er den Ergebnissen des Labors ganz einfach mit
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