Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
dem Satz: Ich bin nicht von dieser Welt! Unter diesem Licht betrachtet … Scheiße … war er, Bergmann, über die Jahre so blind gewesen? Dass er das alles nur als den üblichen Zynismus, dieses beliebte Schutzschild ihrer aller Traurigkeit, gesehen hatte? So oft hatte Schäfer beim Betreten des Büros, beim Einschalten der Tageslichtlampe dieses religiöse Erweckungslied gesungen: I saw the light, I saw the light … praise the Lord, I saw the light. Und er hatte sich geärgert über diese Geringschätzung; darüber, dass Schäfer kein einziges Mal Danke gesagt hatte. Danke, Bergmann, diese Lampe, die Sie mir da gekauft haben, tut mir wirklich gut! Doch womöglich war es ihm ernst gewesen, womöglich hatte er das Geschenk seines Assistenten zur Gottesgabe aufgewertet, und dieser hatte nur den Dorn in den Augen des Majors gesehen und den Balken vor den eigenen Augen nicht.
Und dann taucht jemand wie Plier auf. Eine einfühlsame Vater- und Führerfigur, jahrzehntelang darin erprobt, anderen Menschen seine Überzeugung als ihre Erkenntnis zu verkaufen – egal, ob es um Strandappartements an der Algarve oder den Glauben an Außerirdische geht. Wie viel musste der noch tun, um Schäfer weiszumachen, dass er auserwählt war, um die Welt von den Dämonen zu befreien, die im Sekundentakt aus der Hölle heraufkletterten? Wie viel brauchte es denn generell, um eine fragile Seele zu zerbröseln und dann nach eigenem Gutdünken wieder zusammenzuschweißen? Ein NLP -Seminar, um Vermögensberatern den letzten Rest an Anstand auszutreiben. Ein Praktikum in einem Humana-Laden, um ein paar Hungrige in Afrika und die Schweizer Konten der Tvind-Sekte zu füttern. Einen gratis Stress-Test auf der Straße („Und schauen Sie auch auf dianetik.de …“), um wenig später den letzten Rest Freiheit an der Tür eines Scientology-Zentrums abzugeben. Ein bisschen Liebe, ein bisschen Zuneigung, nach Belieben auch ein Tässchen Ayahuasca-Tee – und nach ein paar Wochen bildet man sich ein, dass die Mauern, die um einen gewachsen sind, die Räume erweiterten und nur dazu da sind, die Bösen, Unwissenden, Nichterwählten an den Rand zu drängen. Ja, jetzt bist du gescheit!, sagte sich Bergmann. Aber als diese Schamanin bei dir war, als dir Goldmann von den morphogenetischen Feldern erzählt hat … wie war’s da um deinen gesunden Menschenverstand bestellt, hä?
Dabei hatte Kamp ihn schon frühzeitig dazu gedrängt, das Amulett aus Schäfers Schublade untersuchen zu lassen. Bei Schäfer kann man nie wissen, hatte er gemeint … Bingo. Er hätte sich die Symbole früher ansehen müssen, die Namen, die Beschreibungen und diesen ganzen … die Gesamtheit an Informationen, die er nach seinen Recherchen, seinen Gesprächen mit Goldmann und Lorenz ohnehin auf seinem Computer hatte. Dann hätte er erkannt, dass die Legierung, aus denen die Anhänger gefertigt waren, genau den acht Metallen entsprach, die in diesen bizzaren Kreisen den Erzengeln zugeordnet wurden; dass es demzufolge wohl sieben weitere Verrückte gab, die gemeinsam mit Eisert die Pferde für den apokalyptischen Ritt gesattelt hatten. Mit ein wenig mehr Ernsthaftigkeit wären ihm wahrscheinlich auch die Parallelen zwischen den Berufen der ersten beiden Toten und den Eigenschaften aufgefallen, die gemeinhin den Erzengeln zugesprochen werden. Uriel, der Engel, der Noah vor der drohenden Sintflut warnte, Träger eines zuckenden Blitzes, an verschiedenen Stellen das Feuer Gottes genannt, oder auch: Bombenbauer Thomas Eisert. Gabriel: der Engel der Verkündung und Schutzpatron des Fernmelde- und Nachrichtendienstes; den hatte sich der Journalist Linus Foster umgehängt. Die Rolle von Plier war offensichtlich schon zu seiner Zeit bei den Sonnentemplern festgelegt gewesen: Erzengel Metatron, der Engel der Wahrheit und der Transformation durch Liebe, unterstützt, was sich im Entstehen befindet, sowie die Materialisierung von Potenzialen. Hätte er, Beamtenfurz Bergmann, sein ach so wichtiges Chart in seinem Kasten auch wirklich wichtig genommen … hätte er dann tatsächlich geschlossen, dass sein Vorgesetzter Major Schäfer in den Untergrund gegangen war, um sein Exekutivwerk als Erzengel Chamuel, Herr des Krieges und der feurigen Leidenschaft, fortzusetzen?
Hätte, wäre, würde, könnte … Schluss mit diesem Konjunktivwahn. Er musste sich an die Wirklichkeit halten. Eisert, Foster und Breiler waren tot; Schäfer am Leben – doch von allen guten Geistern und laut Pfarrer Danninger
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