Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
Marsant an der linken Hand nur vier Finger gehabt hätte. An sich keine große Sache – wenn nicht seit dem Vortag irgendwo in seinem Gehirn eine versteckte Information ihre Hand verzweifelt nach diesem fehlenden Finger ausstreckte. In den vergangenen Tagen, Wochen oder vielleicht sogar Monaten war ihm etwas untergekommen, das damit in Verbindung stand. Ein Satz in einem Gespräch?, ein Bild?, es fiel ihm nicht ein.
Nach dem Mittagessen ersuchte Leitner Bergmann, ihn bei der Einvernahme des Jungen zu unterstützen, den sie am Vortag festgenommen hatten. Patrick Senitschnig, Verdacht des Mordes sowie des versuchten Mordes, illegaler Waffenbesitz und so weiter. Bei der ersten Vernehmung war der Vater dabei gewesen, hatte versucht, seinen Sohn zum Reden zu bewegen, was nur das Gegenteil bewirkt hatte. Der Bulgare, der den Jungen eindeutig als die Person identifiziert hatte, die ihm eine Waffe an den Kopf gehalten hatte? Da gab es leider auch Aussagen, wonach der Mann in dem Lokal, aus dem er kam, mindestens vier große Bier und ein paar Schnäpse getrunken hatte. Zusammen mit der Information, dass er gerade dabei war, in sein Auto einzusteigen, als er die Waffe vorm Gesicht hatte – ein Leckerli für den Anwalt. Diesen lehnte der Junge allerdings ebenfalls kategorisch ab – weil er „so ein Arschloch“ nicht brauchte. Bergmann sah dem Verhör mit viel Freude und Neugier entgegen.
„Wie geht’s dir?“, fragte er den Jungen, nachdem er Leitner aus dem Raum geschickt und ihm aufgetragen hatte, die Tür halb offen stehen zu lassen. „Ist es okay, wenn ich du sage?“
„Von mir aus …“
„Ich hatte leider noch keine Zeit, das Protokoll von meinem Kollegen zu lesen … also entschuldige bitte, wenn sich ein paar Fragen wiederholen …“
„Sind Sie jetzt der Superbulle, oder wie?“
„So hat mich bis jetzt noch niemand genannt … leider … nein, ich versuche nur, nicht auf der Strecke zu bleiben … was ist mit dir?“
„Was soll mit mir sein?“
„Na ja, wie gehst du damit um, wie’s so zugeht auf der Welt … hier in der Stadt …“
„ …“
„Du gehst in die HTL … hast du dich dafür entschieden?“
„Sicher, wer denn sonst?“
„Weiß nicht, dein Vater vielleicht … also nicht, dass er es dir befohlen hat, aber indirekt … was macht dein Vater?“
„Baut Staudämme … irgendwo in der Welt …“
„Verstehe … mein Vater war Gendarm … also mein Stiefvater … ich habe immer geglaubt, dass meine Entscheidung, Polizist zu werden, damit nichts zu tun hatte … aber in den letzten Jahren …“ Bergmann schwieg einen Augenblick.
„Was?“
„Seit er in Pension ist, wird er mir immer unheimlicher … am Wochenende war ich bei ihnen oben, also im Waldviertel, und da hat er gemeint, dass die vielen Starkstromleitungen, die bei ihnen vorbeiführen, sie verrückt machen … weil ein Bauer erst seine Kühe und dann sich selbst erschossen hat …“
„Und warum hat er sich erschossen?“
„Weiß ich nicht … vielleicht war er krank, depressiv … vielleicht hat er niemanden gehabt, der den Hof weiterführt …“
„Vielleicht stimmt das mit dem Strom ja …“
„Möglich ist es … aber darum geht’s nicht … er sucht immer etwas, dem er die Schuld geben kann … damit er eine Kontrolle für sich hat … deswegen ist er wahrscheinlich auch zur Polizei gegangen …“
„ …“
„Wolltest du nie zur Polizei?“
„Nein“, der Junge zögerte, „Soldat vielleicht …“
„Ja, das wollte ich früher auch …“
„Aber?“
„Schau dir das Bundesheer an … was willst du da? Im Burgenland versauern und auf Saatkrähen schießen?“
Der Junge musste grinsen, ungewollt, aber er grinste.
„Ist dir in den letzten Monaten irgendwas Schlimmes passiert?“
„Wieso …“
„In der Schule, mit deinen Eltern … du hast eine Schwester … ist mit der alles in Ordnung?“
„Sicher, wieso?“
„Na ja … wenn du zum Beispiel von ein paar Jugos ausgeraubt oder zusammengeschlagen worden bist …“
„Nein … die haben doch Schiss vor mir …“
„Die in der Schule?“
„Sicher …“
„Da hast du Glück … letzte Woche, da ist einer von denen auf meinen Kollegen mit einem Messer los … hat gerade noch seine Waffe ziehen und abdrücken können … sag mir einer, was mit denen los ist …“
„Untermenschen sind die … ein Gesindel, das zu nichts taugt außer zum Stehlen und Drogen verkaufen und Leute abstechen …“
„Da hast du gar nicht so
Weitere Kostenlose Bücher