Engelherz - Band 1-3
Prickeln auf meiner Haut.
„ Wird er wiederkommen?“, plötzlich hatte ich Angst, dass Samiel so wütend bleiben würde und mich nicht mehr sehen wollte.
„ Irgendwann!“, flüsterte Gabriel kaum hörbar und sah mich aufrichtig besorgt an. Ich nickte, denn ich fand meine Angst bestätigt.
„ Was willst du jetzt machen?“
„ Den Menschen folgen!“, gab ich zurück und deutete unbestimmt nach vorne. „Ich will wissen, was sie machen, wie sie sich entwickeln.“
„ Du willst wissen, wie es weitergeht?!“, erkundigte sich Gabriel so neutral, als wenn ich ein Sakrileg begangen hätte.
Trotzdem nickte ich.
Genau das war es, was ich wollte: Die Entwicklung der Menschheit beobachten.
***
Auf meinen eigenen Wunsch hin verließ mich Gabriel, kurz bevor ich Ur erreichte, die erste der großen Städte der Menschheit. Von weitem beobachtete ich das bunte Treiben, die Ansammlung von Menschen. „Wie sind es in so kurzer Zeit so viele Menschen geworden?“
Ich lehnte mich an einen Baum, um mich davon zu überzeugen, dass dies hier die Realität ist.
„ Du hast Angst!“, erkannte meine innere Stimme, denn ich hatte nicht weiter gedacht, als bis genau an diese Stelle .
Ich konnte unmöglich einfach zu den Menschen gehen. Sie würden mich erkennen. – Aus Erzählungen, die sie von Generation zu Generation weitererzählten, wie ich von Eva wusste.
„ Was würden sie tun? Würden sie versuchen mich zu töten, würden sie mich ignorieren?“
In Gedanken spielte ich alle Möglichkeiten durch, während ich weiterwanderte, bis ich eine alte abgebrannte Ruine in der Nähe fand.
Ich hockte mich in die Sonne und ließ die Asche durch meine Finger gleiten. „Warum bin ich nur hierher gekommen? Was suche ich hier?“
Ich wusste, dass hier durch ein Gewitter und den Blitzeinschlag Menschen umgekommen waren und die Überreste des Hauses aus diesem Grund gemieden wurden. Von Gott gebrandmarkt. Und ich wusste, dass ich mich selber bestrafte, indem ich hier wohnte: In Trümmern und in der Nähe von Menschen, die mich hassten und verfluchten.
Aber ich konnte nichts gegen meine Sehnsucht nach Menschen, nach Gemeinschaft tun, jetzt nachdem die einzigen beiden Menschen tot waren, die mir bisher etwas bedeutet hatten.
Ich war alleine – und Menschen sind nicht dazu geschaffen alleine zu sein. Und obwohl ich jeden Tag Besuch von Engeln bekam, war ich allein. Ich gehörte nicht dazu. Nicht zu den Menschen und nicht zu den Engeln.
Jeden Tag ging ich in die Nähe der Menschensiedlung, um von weitem die Kinder spielen zu sehen, die Frauen bei der Arbeit zu beobachten und den Männern Glück auf ihren Feldern und bei der Jagd zu wünschen.
Jeden Tag, wenn ich von Weitem die Familien beobachtete, fühlte ich mich herrlich pathetisch, groß in meinem Elend und genoss es fast, immer unglücklicher zu werden.
Ich fühlte mich so alleine wie nie zuvor.
Die perfekten, vollkommenen Engel verstanden mein Verhalten nicht und auch nicht meine Ängste und Sorgen. Sie beobachteten die Menschen, aber sie fühlten nicht mit. Sie verstanden nicht, warum ich die Last und die Ungerechtigkeit der ganzen Welt auf mich nahm, so wie es in der Mythologie der Menschen Atlas in wenigen Jahrtausenden tun würde.
Sie verstanden den menschlichen Aspekt meiner Handlungen nicht.
Und die Menschen? Sie verachteten, verabscheuten mich ohne mich zu kennen. Sie gaben mir die Schuld am Sündenfall – so hatte ich es selber gewollt und ich konnte sie nicht für meinen Entschluss verdammen.
„ Und doch ... und doch ...“
In den Jahren in denen meine Einsamkeit wuchs und meine Verzweiflung zunahm, begann ich sie zu verwünschen, weil sie ein Leben hatten und ich nicht.
Ich verabscheute sie dafür, dass sie bemerkten, dass ich in ihrer Nähe war und sie anfingen ihre Kinder zu bewachen und einen Schutzwall um die Stadt zu errichten.
Ich fühlte mich ungerecht behandelt, im Stich gelassen und allein. Ich verfluchte Samiel. Für ihn hatte ich alles aufgegeben und er ließ mich allein. Ich war einsamer, als es je ein anderer Mensch würde sein können.
Ich wusste, es würde nur eines Wortes von mir bedürfen und Gabriel würde mir rund um die Uhr Gesellschaft leisten, aber ich hatte Angst, Samiel würde nie wieder kommen, wenn ich meine Zeit mit einem anderen Engel verbrachte.
Auch für diese Entscheidung verachtete ich mich, denn sie zeigte meine Schwäche und meine Liebe zu Samiel deutlicher als alles, was ich sonst tat. Nur mein Stolz verbot mir,
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