Engelsauge - Die Jagd beginnt (German Edition)
warst da, nachdem das alles passiert ist. Ich brauche diese Ablenkung, ich muss das Gefühl haben, etwas tun zu können.«
Bereits nach einigen Tagen konnte Alices Beerdigung stattfinden, zu der sich neben der Familie und ihren Freunden auch sehr viele andere Einwohner von Vanicy einfanden.
Es hatte längst die Runde gemacht, dass eine junge Frau einen schrecklichen Tod erleiden musste. Da sich die Polizei weitestgehend zurückhielt, brodelte die Gerüchteküche über einen Psychopathen, einen Mörder, ein Monster war tatsächlich auch kurz im Gespräch, man meinte natürlich ein wildes Tier, aber dies verstummte recht schnell wieder.
Ich hatte mich vorher noch mit ihren Eltern getroffen und zusammen haben wir getrauert und auch die Beerdigung ausgerichtet.
»Sie hat immer wieder von dir erzählt, und wie froh sie war, eine so gute Freundin wie dich gefunden zu haben«, erzählte mir Alice Mutter unter Tränen.
»Du hast mehr Zeit mit ihr verbracht, als irgendein anderer und deshalb möchten wir dich um einen Gefallen bitten«, setzte Alice Vater fort.
»Jederzeit. Ich täte wirklich alles für sie.«
»Nun, es ist so, Enya. Alice wollte immer verbrannt werden ...«, begann ihr Vater, »und sie wollte ihre Asche immer über das Meer verstreut haben«, beendete ich den Satz mit einem leichten Nicken.
»Genau. Aber wir haben einfach keine Kraft dazu und bitten dich daher, dass du ihr diesen letzten Wunsch erfülltst.«
»Natürlich. Es wäre mir eine Ehre, dies zu tun.«
Die Beerdigung war sehr emotional und kein Vergleich zu der meiner Adoptiveltern. Nachdem alles beendet war, übergaben sie mir gegen Abend die Urne mit Alices Asche und ich machte mich umgehend auf den Weg zu den Klippen, gefolgt von der Familie Cartwright. Es war der Moment gekommen, Abschied von meiner besten Freundin zu nehmen.
In den letzten zwei Tagen hatte ich neben der Planung der Beerdigung immer wieder geübt, meine Engelsflügel unter Kontrolle zu bekommen, was mir leichter fiel, als ich gedacht hatte. Ich wollte so schnell wie möglich von meinen übernatürlichen Fähigkeiten profitieren, um den Vampir und diese Mantikore zu finden und zu vernichten und dafür war ich entschlossen, wirklich alles zu geben.
Ich stand mit der Urne in beiden Händen an der Klippe und schaute auf das leicht tosende Meer, während alle fünf Cartwrights hinter mir im Wald warteten und ein wachsames Auge auf mich richteten. Seit diesem schrecklichen Ereignis ließen sie mich nicht mehr allein. Die meiste Zeit war Jadon an meiner Seite, und wenn er doch kurz wegmusste, übernahm einer der anderen diese Aufgabe und ich hatte auch nichts dagegen, denn zum jetzigen Zeitpunkt konnte ich jede Hilfe gebrauchen. Allein würde ich gegen niemanden antreten können, vermutlich nicht einmal gegen einen starken Mann menschlicher Natur, aber diese Tatsache, und das hatte ich mir bei der Beisetzung meiner Freundin geschworen, würde ich ändern!
Es dämmerte und kühle Januarluft schlug mir entgegen, als die Sonne sich nun ein letztes Mal an diesem Tag mit dem Meer vereinte, bevor sie unsere Seite der Welt für heute verließ. Der Himmel nahm neben seinen dunklen Blautönen jetzt auch die hellen rötlichen Farben der Sonne an, als ich mich mit meinen weißen, leicht bläulich schimmernden Flügeln erhob und langsam über das Meer glitt. Ich flog nur wenige Meter über dem Wasserspiegel und dies war kein leichtes Unterfangen für mich. Der Wind schaffte es am Anfang, mich immer wieder hoch- oder runterzudrücken, aber nach einer kurzen Weile schaffte ich es, mich fast mit dem Wind zu vereinen, sodass er mich wenigstens nicht mehr aus der Bahn werfen konnte. Diesen Tipp hatte mir Jadon gegeben, als wir zusammen das leichte Fliegen übten. Ich wollte diesen ersten und letzten Flug mit meiner besten Freundin Alice genießen, ehe ich mich für immer von ihr verabschieden musste. Dann war es soweit. Ich öffnete den Deckel der Urne, und während ich langsam meine Kreise über dem Meer zog, sanft berührt von den letzten Strahlen der sinkenden Sonne, vereinigte sich Alice mit dem Wind und flog in alle Himmelsrichtungen davon. Die Urne ließ ich fallen und sie versank im Wasser.
»Lebe wohl, liebste Freundin. Wir werden uns eines Tages wieder sehen«, war mein letzter Gruß an sie. Dann flog ich zurück ans Ufer und ging mit den Cartwrights zurück zum Auto. Jadon fuhr mich nach Hause, ließ mich meiner Bitte nachkommen, allein sein zu wollen, und schließlich sank
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