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Engelsberg

Engelsberg

Titel: Engelsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinaldo Arenas
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auszuwischen, unverzüglich zu Cecilia geeilt.
    »Bist du allein?«, fragte er sie.
    »Allein, allein!«, antwortete Cecilia, die augenblicklich ihren Hass wie auch Großmutter und Tochter vergessen hatte.
    »Hast du auf mich gewartet?«
    »Mit meiner Seele und meinem Leben.«
    »Wer hat dir gesagt, dass ich heute komme?«
    »Mein Herz.«
    »Du siehst blass und abgemagert aus …«
    »Ich habe so sehr gelitten, weil ich die ganze Zeit an dich denken musste. Leonardo, versprich mir, dass du mich heiratest, wir haben doch eine Tochter.«
    »Wir werden sehr bald heiraten«, versprach der junge Studiosus, der noch an diesem Abend beim Fest der Philharmonischen Gesellschaft seine Verlobung und bevorstehende Hochzeit mit Isabel Ilincheta offiziell bekannt zu geben gedachte und dem die Tatsache, mit einer Mulattin eine Tochter zu haben, noch nicht ins Bewusstsein gedrungen war.
    Außerdem, war Cecilia denn verrückt? Woher hatte sie dieses kleine Negermädchen, das jetzt Papa schrie und ihm die Ärmchen entgegenstreckte? Was für miese Tricks hatte sich die Mulattin einfallen lassen, um ihn an sich zu binden! Ach, diese Negerinnen sind der Teufel!, dachte er und sagte:
    »Lass uns lieber in der Küche unter vier Augen reden.«
    Sie gingen in die Küche und zogen sofort die Gardinen zu.
    In einer Ecke des Zimmers saß Doña Josefa, die alles mit angesehen hatte, noch immer wie gelähmt. Wieder würde der Fluch, der schon so lange auf der Familie lag, sich erfüllen. Der schöne, flüchtige und unausweichliche weiße Mann, der plötzlich eine weitere Mulattin schwängert, damit die verhängnisvolle Tradition ihren Lauf nehme.
    Die Geschichte hatte begonnen mit ihrer Mutter, Doña Amalia, einer schwarzen Afrikanerin, die sie, Josefa, geboren hatte, und sie selbst, eine fast noch schwarze Mulattin, hatte mit einem anderen weißen Mann die kaffeebraune Rosario Alarcón in die Welt gesetzt, die ihrerseits von Don Cándido Gamboa Cecilia empfangen hatte, eine fast weiße Mulattin (knappweiß, wie man sagte), und nun hatte Cecilia von ihrem eigenen weißen Bruder eine Tochter, die sich mit Sicherheit wieder in irgendeinen Weißen verlieben würde. Sogar als Urgroßmutter war ihr nicht entgangen, wie bewundernd die Kleine Leonardo angeschaut hatte, und zwar nicht mit der Leidenschaft einer Tochter … Nein, Doña Josefa ertrug es nicht länger. Kein Schmerz, dachte sie, ist so groß wie meiner. Und wie um diesen Gedanken zu bestätigen, drang aus der Küche das Lachen Cecilias und Leonardos, doch als genügte das immer noch nicht, zog ihre Urenkelin sie am Rock, um sich in Erinnerung zu bringen. Ich ertrage es wirklich nicht länger, sagte sich Doña Josefa und lief ins Schlafzimmer, wo die Statue der schmerzerfüllten, vom Flammenschwert durchbohrten Muttergottes stand. Nur sie konnte ihr Trost spenden, ein Wunder bewirken. Und sie warf sich vor der Muttergottes mit dem Kinde auf die Knie, weinte bitterlich und fragte sie, wie es möglich sein konnte, dass das Leben nichts als eine Hölle war, welchen Sinn es hätte, dass es danach noch eine Hölle geben sollte, und vor allem, warum man vor jener Hölle Angst haben sollte, da doch die Erinnerung an die erlebten Leiden sie niemals verlassen würde … Wie war es möglich, dass dem Schmerz immer nur noch schlimmere Leiden folgten? Wie ist es möglich, schrie sie jetzt, dass nicht ein Mal jemand kommt und mich fragt, warum ich leide, warum ich jetzt um mein ganzes Leben weine, warum ich überhaupt noch lebe? Wie ist es möglich, dass nicht einmal du – und sie hob ihren Blick zu der Statue – mir ein Zeichen des Mutes gibst und ein Wunder machst? Verstehst du denn nicht, dass auch wenn mein Herz mit Eisen beschlagen ist, genagelt mit Kupfer, ich mehr nicht ertragen kann?
    Da rührte sich die vom Flammenschwert durchbohrte Muttergottes in ihrer Nische, und mit kaltem, grausigem Blick sprach sie:
    »Und wie ist es möglich, dass du ausgerechnet bei mir Trost suchst? Bei mir mit diesem Flammenschwert, das mir für alle Zeiten die Brust durchbohrt, und mit meinem einzigen Kind, das der Pöbel ermordet hat? Hast du nicht gemerkt (niemand hat es gemerkt!), dass auch ich starr vor Schmerz bin? Wie ist es möglich, mich in diesem Schmerz zu sehen, und zwar über die Jahrhunderte hinweg, und niemand begreift, dass ich nicht Inbegriff der Hoffnung, sondern der Verzweiflung bin? … Ich bin es«, und bei diesen Worten wurde ihre doppelt jungfräuliche Stimme, denn es war das erste Mal,

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