Engelsblut
vorstellen, dass die junge Frau nicht ganz freiwillig erschienen war. Aber darüber wollte er lieber nicht weiter nachdenken. Er war froh, dass er die Gelegenheit hatte, mit dieser Frau zu sprechen. Die kurze Reise nach Odessa schien ergiebiger, als er erhofft hatte. Und er war Wlad dankbar, dass er seine Beziehungen spielen ließ und für ihn sogar Gefallen einforderte.
»Herr Kommissar Horndeich – Zeugin für Sie.« Wlad lachte und hob das Wodkaglas. Alle anderen taten es ihm nach. »Auf schönen Abend mit unserem deutschen Freund. Und mit viele Informationen.«
Auch Natalia stieß mit an.
»Natalia, woher kennen Sie Nadeschda Pirownika genau?«
Isabella übersetzte wieder. »Ich arbeite zusammen mit ihr in einem Hotel. Im Hotel ›Meer‹. Einem kleinen Hotel.«
»Als was arbeiten Sie dort?«
»Nadeschda und ich, wir sind Zimmermädchen. Es ist ein guter Job. Viele Menschen aus dem Westen, immer mal wieder ein Trinkgeld.« Isabella fügte im gleichen monotonen Tonfall an: »Ich kenne das Hotel. Keine Westgäste, kaum Trinkgeld.«
Horndeich ließ sich nicht anmerken, dass Isabella ihren Kommentar dazu gegeben hatte.
»Wir haben dort einen guten Job und sind sehr froh darüber.« Wieder setzte Isabella hinzu: »Blödsinn. Unterbezahlung und Angst um den Job.«
»Sind Sie und Nadeschda Freundinnen?«
»Ja. Nicht ganz nahe Freundinnen, aber wir haben gut zusammengearbeitet.«
»Was wissen Sie über Nadeschdas Familie?«
»Sie hat einen Mann und drei Kinder. Die jüngste Tochter, sie ist erst vier Monate alt. Ihr Mann – er hat keine Arbeit.«
»Ich weiß. Ist er ein guter Mann für Nadeschda?«
Die so private Frage ließ Natalia zögern. »Ja. Er ist ein guter Mann und ein guter Vater für die Kinder. Sie haben Respekt, und sie bekommen Liebe.« Wieder fügte Isabella an: »Vergessen Sie alle persönliche Fragen. Sie werden darauf nur rosarote Antworten bekommen.«
Horndeich war dankbar für Isabellas persönliche Anmerkungen, auch wenn er sie als befremdlich empfand. In Deutschland hatte er mehrfach Befragungen durchgeführt, bei denen sie zwei Übersetzer gleichzeitig antanzen ließen – um genau solche verdeckten Hinweise in einer Sprache zu vermeiden, von der sie keine Silbe verstanden. Offenbar eine richtige Entscheidung.
»Hat Nadeschda Ihnen erzählt, dass sie schwanger war?«
»Ja. Sie hat es mir gesagt.«
»Wann?«
»Da war sie im dritten Monat.«
Horndeich überlegte, ob er den Vorstoß wagen sollte – schließlich hatte er nichts zu verlieren. Sein Ziel war, etwas über Nadeschdas mögliches Motiv herauszufinden und vielleicht Hinweise zu finden, die belegten, dass Nadeschda nicht allein im Haus der Aaners gewesen war. »Natalia, hat Nadeschda Ihnen gesagt, dass sie eine Leihmutter war?«
Isabella übersetzte, und Natalia sah unsicher zu Wlad, Isabella und auch zu Oksana, Wlads Frau. Dann wieder zu Wlad. Horndeich musste sich erst wieder in Erinnerung rufen, dass der ja auch alles verstand – und damit auch Isabellas Eigenmächtigkeiten. Wlad nickte. Horndeich fragte sich, ob Isabella auch in die andere Richtung Hinweise und Kommentare abgegeben hatte. Er sprach zwar leidlich Russisch. Aber ein unauffällig untergeschobener Satz wäre ihm kaum aufgefallen.
»Ja. Sie hat es mir gesagt. Ist ja legal hier in der Ukraine.«
»Ja. Das ist es. Hat sie Ihnen erzählt, dass es Probleme gab mit den …« Horndeich wusste nicht, wie er die Aaners nennen sollte.
»… biologischen Eltern«, half Isabella aus. Dann übersetzte sie.
Natalia antwortete. Horndeich verstand kaum eines ihrer Worte, da sie schnell und gepresst sprach.
Wlad und Isabella sprachen auf Russisch auf sie ein. Beide schienen verärgert. Natalia antwortete, nun auch sichtlich erregt. Dann sagte sie in gebrochenem Deutsch: »Nadeschda Problem mit Klinik. Groß Problem mit Klinik. Frau nicht gut.« Dann sagte sie es noch mal auf Russisch zu Horndeich. Langsam. Offenbar hatte sie mitbekommen, dass Horndeich auch etwas Russisch verstand. »Die Frau in der Klinik hat Nadeschda Probleme gemacht.« Dann fügte sie noch – ebenfalls auf Russisch – hinzu: »Mehr weiß ich nicht. Und Nadeschda – sie ist nicht mehr hier.«
Alle am Tisch schienen über Natalias Bemerkung nicht gerade erfreut zu sein. Wlad winkte ins Leere – mit dem Ergebnis, dass wenige Sekunden später eine Combo von drei Frauen und zwei Männern direkt neben ihrem Tisch folkloristische Weisen zum Besten gab.
Wlad schenkte allen Wodka ein, gab auch den
Weitere Kostenlose Bücher