Engelsblut
holte tief Luft und stieß einen Seufzer aus. Er ging zu der Tafel, auf der sie immer wieder versuchten, Struktur in verzwickte Fälle zu bringen. Die war magnetisch, um Fotos mit Magnetpins festzuhalten. Aber man konnte auch mit Edding darauf schreiben.
Er malte drei Kreise an die Tafel. Darunter schrieb er die Namen von Susanne Warka, Regine und Paul Aaner. Auf die dazugehörigen Polizeifotos der Opfer verzichtete er. Schließlich sagten sie in allen drei Fällen wenig über die Physiognomie der Menschen aus. Um die drei Kreise herum platzierte er die Nebenfiguren. Zumbill, den Freund der Warka. Dann Frederik Schaller. Bei den Aaners malte er einen Kreis für Alexander Aaner, Pauls Bruder, hin. Einen für Klaus Friedrichsen, den Geschäftsführer des Autohauses. Das war’s dann aber auch schon. Außer dem Kind in Susanne Warkas Bauch gab es keine Verbindung.
Horndeich malte eine gestrichelte Linie von den Aaners zu Susanne Warka, die über Frederik Schaller führte. Dann malte er eine zweite gestrichelte Linie, die einen Kreis kreuzte, den er extra malte und mit »Ausländische Klinik« beschriftete.
»Was machen Sie da?«
Bernd Riemenschneider stand im Türrahmen.
»Ich versuche, zwei Fälle miteinander zu verbinden.«
»Gibt es eine Verbindung?« Riemenschneider betrat das Büro.
Okay, wenn Margot schon nicht da war, vielleicht konnte Riemenschneider als Mr Watson für ihn herhalten. »Ja. Susanne Warka trug das Kind der Aaners aus. Als Leihmutter. Aber mehr haben wir dazu noch nicht herausgefunden.«
»Hm. Schon komisch, dass Menschen diesen Weg gehen«, sagte Bernd Riemenschneider. Er setzte sich auf Margots Stuhl und schaute auf die Tafel.
»Sie meinen, den der Leihmutterschaft?«
»Ja. Wir haben es nicht mal ernsthaft in Erwägung gezogen.«
»Sie und Ihre Frau?«
»Ja. Wir haben darüber gesprochen, klar. Aber wir haben es nicht gemacht.«
Horndeich sah auf die Tafel und fand bestätigt, dass er außer den vagen gestrichelten Linien tatsächlich keine weitere Verbindung erkennen konnte. Und er erkannte, dass er bislang nichts aus dem Leben des Kollegen Riemenschneider wusste. Und es eigentlich auch nicht vermisst hatte.
Doch der sprach weiter. »Wir können keine Kinder bekommen. Fragen Sie nicht nach den ganzen Untersuchungen, die wir über uns ergehen lassen mussten. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass auch Spermien unter Leistungsdruck stehen. Dreimal haben wir die künstliche Befruchtung versucht, dreimal ist der Embryo nach zwei Monaten abgegangen.«
»Das tut mir leid«, sagte Horndeich unbeholfen. Was hätte er auch sonst sagen sollen?
»Na, wir haben das mit der Leihmutterschaft nur kurz angesprochen. Wissen Sie, wenn der Kinderwunsch so stark wird, dass er alles andere in den Schatten stellt … Aber eine Mutter ist eben der Mensch, in dessen Körper ein Kind wächst. Das kann man doch nicht einfach ignorieren.«
Obwohl Horndeich eigentlich keine weiteren Details aus Riemenschneiders Eheleben hören wollte, fragte er fast automatisch: »Wie meinen Sie das?«
»Das ist doch offensichtlich. Sehen Sie, meine Frau und ich, wir lieben Klassik. Also eigentlich eher Barock. Telemann, Vivaldi oder Purcell. Bei einer Aufführung von Dido und Aeneas haben wir uns kennengelernt. Schon komisch, wie das Schicksal ein Paar zusammenführt. Zwei Sitze im Theater, jeder ist nur da, weil er die Abo-Karte eines Freundes übernommen hat, nur damit sie nicht verfällt. Wir haben uns gleich verstanden, Karin – so heißt meine Frau – spielt sogar Cello. Ich spiele kein Instrument außer HiFi-Anlage. Wir sind auch beide überzeugte Vegetarier. Und nun stellen Sie sich vor, unser Kind wird von einer Frau ausgetragen, die den ganzen Tag Alice Cooper und AC/DC hört – oder, noch schlimmer, irgendwelche Alpenjodler, die meinen, sie würden mit ihren Kehlkopfattacken deutsche Volksmusik pflegen. Und während dieser Un-Schall auf das Baby einprasselt, zieht sich die Mutter einen Burger nach dem anderen rein. Ich bin sicher, dass die Monate im Bauch der Mutter einen Menschen prägen.«
Horndeich schwieg. Stefanie hatte, während sie in Sandras Bauch herangewachsen war, oft Juta gehört, Horndeichs Lieblingssängerin aus Russland. Sandra mochte Ludovico Einaudi, einen begnadeten Komponisten und Pianisten. Wenig Vivaldi, aber zumindest auch wenige Jodler. Was würde Stefanie wohl später gern hören?
»Na ja, wir haben uns dann entschieden, eine Pflegschaft für ein Kind anzunehmen. Da sind die
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