Engelsblut
Bedingungen klar, das Kind weiß, dass wir nicht seine Eltern sind. Und dennoch sind wir das Beste, was dem Kind passieren kann.«
Horndeichs Neugier war geweckt. »Pflegschaft? Keine Adoption?«
»Ach, das lag an mir. Ich wollte kein Kind, dem ich irgendwann mal erklären muss, dass seine Eltern nicht seine Eltern sind. Bei einer Pflegschaft, da weiß das Kind, woran es ist. Wir sind die Alternative zum Heim. Es klappt ganz gut.«
»Ihr habt also ein Pflegekind?«
»Ja, Sabrina. Sie ist jetzt neun. Sie war fünf, als sie zu uns kam. Vorher war sie im Heim.«
»Und sie kennt ihre Eltern?«
»Jein. Die Mutter. Der Vater ist nicht bekannt. Und die Mutter ist ein Junkie. Sie lebt in Darmstadt auf der Straße. Ja, die beiden haben sich unter Aufsicht schon getroffen. Aber Sabrina war danach immer ziemlich verstört. Ihre Mutter ist nicht unsympathisch. Aber ihr Gehirn fault unter H und Crack weg. Es ist schwierig. Aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es einfacher ist als ein Geständnis von Adoptiveltern, nicht die leiblichen Eltern zu sein.«
»Kommt Sabrina damit zurecht?« Horndeich ärgerte sich ein wenig über sich selbst, dass er jetzt echtes Interesse am Privatleben von Bernd Riemenschneider hatte.
»Ja. Sie hat Mama, und sie hat ihre Mutter. Und ich bin Papa, und Vater gibt’s nicht. Sie spielt Geige – und das richtig gut. Wenn sie so weitermacht, dann wird aus ihr einmal eine zweite Anne-Sophie Mutter. Und diese Chance hätte sie ohne uns nicht gehabt.«
Horndeich musste lächeln. Wenn Stefanie schrie, musste man nur Sandras Einaudi anstellen. Und das Kind beruhigte sich. Und vor ein paar Tagen hatte Horndeich gesehen, dass sich sogar Che direkt vor einen der Lautsprecher gelegt hatte, als Einaudi mit Una mattina zu hören war.
»Nein, es ist nicht einfach«, sagte Riemenschneider mehr zu sich selbst. »Aber es gibt Momente, in denen weiß man, dass man etwas richtig macht. Sie hatte vor Kurzem ihr erstes Solokonzert. Und nachdem sie sich vor dem Publikum verbeugt hat, hat sie durch den ganzen Saal gerufen: ›Danke, Mama und Papa!‹«
»Hut ab, Bernd.« Der Vorname war Horndeich einfach so über die Lippen gerutscht.
»Wir sind keine Heiligen. Aber ich glaube, dass Adoption und Pflegschaft besser sind als diese Leihmuttergeschichten. Wie viele Kinder wünschen sich Eltern …«
Bernd hielt kurz inne. Dann sagte er: »Du sagtest, bei dieser komischen russischen Seite mit den russischen Frauen auf dem NAS von Aaner ging es um Eizellenspenderinnen.«
»Ja.«
»Na, dann würde ich darauf tippen, dass die Aaners genau das schon mal ausprobiert haben. Vielleicht konnte Regine Aaner keine eigenen Eizellen produzieren. Also kauften sie sich die beiden Eizellen auf dem Markt.«
»Auf dem Markt? Das klingt so nach Kaufhof oder Stadtmarkt. Ist das nicht ein wenig überspitzt?«
»Nein, überhaupt nicht. Es gibt eine Nachfrage und ein Angebot. Knallhart. Da zählen Preis und Service. Es gibt Kliniken, die werben ganz offensiv im Internet. Mit Preislisten. Da kannst du dir genau ausrechnen, was es dich kostet, ein Kind zu kriegen.«
Horndeich reichte Riemenschneider die Hand. »Lassen wir das vielleicht doch mit dem Sie. Ich bin Horndeich.«
»Bernd. Aber du heißt doch Steffen?«
»Horndeich passt schon.«
»Okay. Aber spinnen wir das doch mal weiter. Die beiden kaufen sich in der Ukraine oder sonst wo Eizellen. Die werden mit dem Samen von Paul Aaner befruchtet. Und bei Regine Aaner eingepflanzt. Dann läuft was schief. Sie verliert das Kind und wird gänzlich unfruchtbar. Vielleicht eine unsaubere Ausschabung – irgendetwas in der Richtung. Nun bleibt nur noch die Option auf eine Leihmutterschaft durch eine andere Frau.«
Horndeich sah Bernd Riemenschneider in die Augen. »Das heißt aber, dass Regine Aaner schon einmal schwanger gewesen ist.«
»Ja. Wenn meine Theorie stimmt, dann schon.«
»Na, dann schauen wir mal.«
Horndeich suchte kurz nach Jasmin Selderaths Nummer, fand sie und wählte.
Jasmin Selderath meldete sich.
»Hallo, Frau Selderath, hier ist noch mal Steffen Horndeich von der Kripo in Darmstadt. Ich hätte da noch eine Rückfrage.«
»Ja. Was kann ich für Sie tun?«
»Sie haben uns gesagt, dass Regine Aaner schwanger war.«
»Ja. Das hat sie mir erzählt. Und mir sogar ein Ultraschallbild gezeigt.«
Horndeich war befremdet. Wie weit musste die Verklärung reichen, um das Bild eines Fötus herumzuzeigen, der gar nicht im eigenen Körper heranwuchs?
»Wissen
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