Engelsblut
Sie, ob Regine Aaner vorher schon einmal schwanger war? Und vielleicht eine Frühgeburt hatte? Oder eine Totgeburt?«
Das Erstaunen in Jasmin Selderaths Stimme war nicht zu überhören. »Ja. Sie war tatsächlich schon einmal schwanger.«
»Und wann war das?«
Kurzes Schweigen am anderen Ende der Leitung. »Ist ein Dreivierteljahr her. Weihnachten. Genau. Kurz vor den Weihnachtsferien hat sie’s mir gesagt. Da war sie im dritten Monat schwanger. Und dann, im Januar, hatte sie eine Fehlgeburt. Es hat sie sehr mitgenommen. Die Arme.«
»Ja. Sicher.« Horndeich wusste nicht, wie er die Bemerkung ansonsten kommentieren sollte. Dann bedankte er sich und verabschiedete sich.
»Und?«, fragte Bernd Riemenschneider.
»Treffer. Vor einem Dreivierteljahr.« Horndeich klickte sich durch diverse Ordner auf der Festplatte. Dann öffnete er eine Datei.
»Ah, das ist eine Seite von der Liste mit den Eizellenspenderinnen, richtig?«
»Ja.« Horndeich drückte eine Kombination von zwei Tasten und bewegte sich damit an das Ende der Seite. Dann zeigte er auf die Fußzeile.
»Was steht da?«
»Актуальная дата: Август 2010«, sagte Horndeich und übersetzte sogleich: »Aktueller Stand: August 2010.«
»Das heißt, es passt. Offenbar haben die beiden sich dort eine Eizellenspenderin gesucht. Dann einen Versuch gewagt. Der misslungen ist. Und dann haben sie sich eine Leihmutter gesucht. Warum in Deutschland? Warum nicht noch mal über die Klinik?«
»Nun, wahrscheinlich haben sie den Leuten vor Ort die Schuld am Scheitern des ersten Versuchs gegeben. Und wollten das Kind nun lieber im klinisch reinen Deutschland austragen lassen.«
Riemenschneider schwieg. »Also, für mich hat das was Gruseliges. Schönen Feierabend.«
»Dir auch.« Das »Du« ging Horndeich noch etwas mühsam über die Lippen. Aber in der Sache gab er Bernd recht. Er überlegte, ob er nicht jemanden, der besser Russisch sprach als er, bitten sollte, herauszufinden, zu welcher Klinik oder zu welchem Institut diese Seite gehörte. Dann dachte er sich, dass das wohl auch nichts nützen würde. Schließlich war Susanne Warka die Leihmutter und nicht irgendeine namenlose Slawin.
Horndeich wollte gerade wieder zu seiner Tasche greifen und nach Hause gehen, als Zoschke anklopfte und eintrat.
»Ja?«, fragte Horndeich.
»Du wolltest doch etwas über den guten Frauendoktor von Susanne Warka wissen.«
»Ja. Wollte ich. Und? Hast du was?«
»Jepp. Hab ich.«
Horndeich starrte auf die dicke Akte, die Zoschke unterm Arm hielt. »So viel in vier Stunden? Wie hast du denn das gemacht?«
Zoschke strahlte wie der Igel am Ende des Feldes. »Gewusst, wo.«
»Und? Mach’s nicht so spannend. Wo hast du das her?«
»Willst du gar nicht wissen, was drinsteht?«
»Klar. Also, gib rüber.«
Zoschke reichte Horndeich die Akte. Der sah sofort, dass sich darin drei Mappen befanden. Eine war eine dünne Klemmmappe, die zweite ein unwesentlich dickeres Modell. Die dritte Mappe war eine Akte der Staatsanwaltschaft. Horndeich schlug Letztere auf. »Wow!«
»Das habe ich auch gedacht. Der gute Mann hat ein Verfahren am Hals. Er wird beschuldigt, bei einer OP gepfuscht zu haben. Die Frau hat ihn verklagt, weil sie davon überzeugt ist, durch seinen Eingriff unfruchtbar geworden zu sein. Die beiden anderen Mappen sind Infos, die öffentlich zugänglich sind. Eine von irgendeiner Ärztevereinigung. Und die andere von so einer Businessplattform im Internet.«
»Danke«, sagte Horndeich.
»Passt schon. Ich mach mich dann mal heim.«
»Ciao«, erwiderte Horndeich. Und musste schmunzeln. Der Hesse im Allgemeinen und der Darmstädter im Besonderen kamen im Grunde für jede Art der Fortbewegung mit einem Verb aus: »machen«. Bei dem Satz »Ich mach dann mal ins Bett« würde man sofort merken, wenn ein Hesse im Raum war, weil er der Einzige im Raum wäre, der nicht errötet oder zu lachen beginnt.
Horndeich lehnte sich zurück. Zuerst studierte er die beiden schmalen Dossiers. Er wollte zunächst wissen, mit wem er es zu tun hatte, bevor er die Akte der Staatsanwaltschaft in Angriff nahm. Frederik Johannes Schaller war 1950 in Marburg geboren worden. Ging dort zur Schule. Verpflichtete sich zunächst bei der Bundeswehr und war in der Steubenkaserne in Gießen stationiert.
Von dort aus ging Schaller direkt an die Uni. Wieder Marburg. Medizin. Dann vor knapp dreißig Jahren Facharzt für Gynäkologie. Die ersten zehn Jahre in Frankfurt an der Uni-Klinik. Dann
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