Engelsblut
gefangen nehmen von ihren Augen«, sprach er tröstend, »sondern geh zurück in dein stilles Gemach, um dort an neuen Bildern zu werken!«
»Wenn dein Vorhaben nicht wirkt«, zischte Samuel bitterböse, »wenn ich nicht bessere Engel male als zuvor – so geht es auf deine Rechnung!«
Ganz hinten im Raum kicherte einer nervös. Grothusen ging dicht an Samuels Seite.
»Aber wenn es wirkt«, sagte er leise, »dann sollst du mir dankbar sein. Und Lena auch.«
Ich lasse Lena wieder allein, will das Zusammensein mit ihr rationieren und zweifle hernach, da ich einsam bin, an allem, was ich jemals tat. Ausgeleert, überflüssig und stimmlos fühlt sich an, worauf ich stoße. Ich schleiche um den Gutshof herum, denke über mich und meine Zunft nach und hadere. Es gibt unsereins nicht lange. Man sagt uns nach, dass wir wären, wer wir sind, weil es zu mehr nicht taugt. Jeder Satz, den wir über ein anderes Kunstwerk sprechen, offenbart nur, dass wir nichts von selbst vermögen.
Aber ist es nicht so, rufe ich gegen mein Zweifeln, dass wir in Zeiten, da uns aus allen Ecken ein neuer Maler entgegenkreucht, nicht Maßstäbe finden müssen, ihn entweder abzutun oder zu den Großen zu zählen? Wer, wenn nicht wir, entscheidet, wessen Name überdauert? Ist es Joseph Anton Koch, Caspar David Friedrich, Peter Cornelius oder Wilhelm von Kobell? Ist es vielleicht Samuel Alt?
Wir sind Vollstrecker der Wahrheit. Und soll es nicht gerade darum erlaubt sein, dass ich zur Lüge greife, um Lena dazu zu bringen, mir Samuels letztes Bild zu geben, dass ich ihr sage, Grothusen hätte ihr verziehen, wiewohl ich nichts darüber weiß?
Als ich den verwahrlosten Gutshof nach Antwort absuche, stoße ich auf den weiten Fluren, die zwischen dem Hof und der Kirche liegen, auf den Friedhof. Es ist nicht schwer, die Gräber derer von Altenbach-Wolfsberg zu finden, denn der alte Graf scheint sein Vermögen dafür hinterlassen zu haben, dass ihm und seiner Familie eine mächtige Gruft gebaut wurde. Wo alles sonst ländlich einfach ist, ragt ein ebenmäßiger Stein empor, behauen mit den Namen der adeligen Sippe.
Bis 1600 reichen die Zahlen zurück. Ein Graf ist unter den anderen geschrieben – daneben die Namen der Frauen und der nicht verheirateten Töchter.
Der letzte Graf, der hier begraben wurde – es muss Samuels Vater sein – ist dreizehn Jahre tot. Marie, die ihm Angetraute, erst fünf. Auch Samuels Name ist zu entdecken, jedoch auf einem eigenen Grab, das sich im Schatten der Familiengruft versteckt. Er liegt hier nicht als »Alt«, sondern mit vollständigem Titel und Namen.
»Nun«, krächzt unerwartet eine Stimme neben mir, »habt Ihr Lena allein gelassen?«
Veronika von Altenbach, das verbitterte, bösartige Weib, scheint die Toten mit ihrer unangenehmen Stimme bestrafen zu wollen. Sie mustert mich mit kleinen Augen – und ist zufrieden, wie sie mich vorfindet. Ich bin müde, blass und zermürbt. Und vor allem: Ich bin nicht mehr bei Lena. Mir fällt auf, dass sie sich nicht nur Lena zur Geisel gemacht hat, sondern so lange anspruchslos zu leben scheint, als das Unglück der anderen ihr eigenes übertrifft.
»Ich komme morgen wieder«, erkläre ich rasch, weil ich ihr den Triumph nicht gönne.
Ohne etwas zu sagen, beugt sie sich nieder und beginnt gründlich das Unkraut auszureißen, das zwischen den Steinen wächst und die Gruft hochrankt. Sorgfältig ist sie darauf bedacht, das Grabmal sauber und gepflegt zu halten. Kein Riss, kein Schimmel, kein Gewächs sind in dem Stein zu sehen. Es ist um vieles prächtiger und sauberer als der Gutshof, der langsam in sich zerfällt.
»Es kommt mir merkwürdig vor«, setze ich an, »dass ihr den Gräbern so viel Achtung schenkt, während Ihr Euch um den Rest des Erbes nicht zu scheren scheint!«
Schwach grinsend zupft sie weiter störrische Pflanzen aus.
»Wisst Ihr, was das Schönste für mich ist?«, fragt sie, richtet sich auf und starrt mich an.
Ich zucke mit den Schultern. Etwas in ihrem Blick erinnert an Lena. Wie diese scheint sie verfault zu sein, anstatt sich rechtzeitig aufgebraucht zu haben.
»Das Schönste ist«, fährt sie fort, »das Schönste ist – sie sind tot, aber ich lebe.«
Ich zucke erneut mit der Schulter. Dies ist also der zweite Teil ihrer Rechnung: Es gibt nicht nur jemanden, der noch unglücklicher ist als sie, sondern auch welche, die noch weniger Leben besitzen. Gierig sieht sie mich an und fährt fort, da sie von mir keine Zustimmung erhält.
»Graf
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