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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
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aus.
    »Sag das nicht!«, raunte er werbend. »Es ist nicht so, dass dein gebrochener Finger dem Malen hinderlich ist. Schon länger denke ich mir, dass es ganz andere Ursache dafür geben muss, dass du dich mit den Bildern nicht zufrieden gibst.«
    Er löste seinen Blick von Samuel und ließ ihn über die Versammelten gleiten.
    »Es ist doch so«, fuhr er fort, ehe Samuel es tun konnte, »es ist doch so, dass das Blut nicht taugt, womit du malst. Nein, nein, lasst mich ausreden, lasst mich euch erklären. Ich kenne Samuels Bilder und muss die letzten, die entstanden sind, als Abklatsch früherer Werke beurteilen. Es kann nicht nur an der kaputten Hand liegen, dass die Engel kaum in den Himmel langen, dass es ihnen an der Leichtigkeit der Lüfte fehlt, dass sie zu plump, zu behäbig, zu schwer erscheinen. Es muss noch tiefere Ursachen haben!«
    Samuel keuchte ungeduldig. Grothusen aber raubte ihm weiterhin das Wort. Mit jedem, das aus seinem Mund kam, zwängte er sich tiefer zwischen Samuel und Lena, bis er sie verdeckt hatte und alle, die sie maßregeln und bestrafen wollten, mit seinen Gebärden bezwang.
    »Wir versuchen, die Engel mit Blut zu beleben!«, rief er laut. »Doch haben wir uns je gefragt, wessen Blut es ist, das wir vergeuden? Nun, ich frage jetzt, und ich gebe auch sogleich die Antwort: Es ist das Blut von Menschen, die mitten im Leben stehen. Sie sind der stickigen Erde nicht entrückt. Sie kleben an ihrem Dasein. Bei vollster Gesundheit geben sie Blut, um sich hernach sogleich davon zu erholen. Und dann, aufs Neue erstarkt, fahren sie mit einem Opfer fort, das nichts auf Spiel setzt!«
    Da niemand sich mehr mit Lena befasste, gab er sie wieder den Blicken frei, trat nach vorne und griff nach Samuels gekrümmter Hand. Er presste sie fest, bis der gebrochene Finger gerade erschien.
    Beschwörend redete er auf ihn ein: »Du willst die Leichtigkeit des Himmels? Du willst die Ewigkeit erringen? So darfst du kein Blut von Menschen nehmen, die mit all ihrem Trachten und Leben und Sein tief in den Abgründen der hiesigen Welt vergraben sind. Vielmehr sollten wir Blut von Menschen nehmen, die dabei sind, das Diesseits aufzugeben, die kurz vor ihrem Tode stehen und nur noch einen Hauch jenes Lebens in sich tragen, das bereits auf der Schwelle zu einem zukünftigen, ewigen steht. Du brauchst Blut von Menschen, Samuel, die bereit sind, für dich zu sterben!«
    Grothusen ließ Samuels Hand los. Jener tat nichts, sie nochmals zu erheben. Wiewohl bleich und missmutig geblieben, versäumte er, Lena weiterhin anzuklagen.
    Hinter ihnen regte sich Widerwort.
    »Willst du damit sagen«, sprach Samuels gelehrigster Schüler, Lukas Vogt, »dass wir Menschen so lange zur Ader lassen sollen, bis sie tot sind? Ist das der Preis für Engelbilder? Wäre es nicht besser, Samuel würde porträtieren wie einst?« Damit sprach er alte Zweifel aus, wonach Samuel ein besserer Menschenmaler sei.
    Lena hielt den Blick gesenkt.
    »Nein!«, widersprach Grothusen energisch. »Kein Preis soll zu hoch sein! Auch wollen wir hier keine Toten begraben! Wir wollen Menschen nur an die Schwelle des Todes führen – was nicht heißen soll, dass sie jene auch überschreiten.«
    »Aber falls es doch geschieht«, warf Bartholomé Vernez ein, »und jemand zu Tode gebracht wird?«
    Erneut lachte Grothusen.
    »Unser Vorgehen soll nicht stümperhaft ausfallen«, erklärte er gewinnend, »wir wollen einen Arzt finden, der bereit ist, jene Experimente durchzuführen, und das Werk solcherart nur kundigen Händen überlassen.«
    »Aber wenn ...«, kam es aus dritter Richtung.
    »Nein, nein!«, besänftigte Grothusen behände. »Lasst uns dem Flügelschlag künftiger Engel nicht durch Sorgen Gewicht anhängen! Lasst uns nichts scheuen, Samuel vorzüglichstes Engelsblut zu geben! Es soll auch nicht Streit und Missgunst zwischen uns sein. Nicht wahr, Samuel – da habe ich doch in deinem Sinn gesprochen?«
    Der Doktor war gelenkig. Er beugte sich so lange zu ihm hin, dass Samuel seinem Gesicht nicht ausweichen konnte und ihn anblicken musste. Nun, da man auf seine Entscheidung wartete, fühlte er, wie die Nähe der Menschen ihm zusetzte. Die Anspannung nagte an ihm. Das Raunen klang wie Schreien in seinen ungeübten, verschlafenen Ohren.
    »Starrt mich nicht alle an!«, rief er keuchend und duckte sich. »Starrt mich nicht an!«
    Grothusen schützte ihn vor den Blicken wie zuvor Lena. Er packte ihn erneut an der Hand, um ihn hinauszuziehen. »Lass dich nicht

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