Engelsblut
fühlen und nichts anderes mehr sein und an nichts anderes mehr denken. Das Schreien wurde heiser. Tränen rollten über seine Wangen. Gekrümmt stand er und stöhnte.
Als Lenas Rhythmus schneller wurde, ihre Lust den Höhepunkt erreichte und sie schließlich unbeherrscht aufschrie, bog sie Samuels Finger beinahe senkrecht nach hinten. Dann erst gab sie ihn frei und trat erschöpft von Grothusen zurück, der seinerseits leise gestöhnt hatte, als er sich in ihr ergoss.
Samuel war indessen zu Boden gegangen, krümmte sich vor unsäglichem Schmerz, heulte und stöhnte und greinte. Er warf sich hin und her, und Speichel trat ihm aus dem Mund.
Verlegen starrte Grothusen auf den Maler, während Lena nichts tat, um ihm zu helfen. Die Hitze kühlte ab und wich dem Entsetzen darüber, was sie angerichtet hatte.
Lena hatte Samuel einen Finger gebrochen. Später stellte sich heraus, dass dieser nie wieder gerade wachsen und ein gekrümmtes Mal bleiben würde. Bis zu seinem Tod erinnerte es an Lenas Liebe und machte es ihm unendlich schwer, Engel zu malen.
Samuel zeigte sich der Gemeinschaft wieder. Nach langen Wochen, geschwächt und stöhnend im Bett, hatte der Schmerz in seiner Hand nachgelassen. Malen konnte er dennoch nicht. Er ging in den Saal, den er lange Zeit gemieden hatte, und hob anklagend den schief gewachsenen Finger, mit dem er den Pinsel nicht mehr gerade zu führen vermochte. Sein Gesicht war bleich und eingefallen nach den vielen Nächten, da er wegen der schlimmsten Qualen nicht hatte schlafen können, da er vor sich ins Dunkle gestarrt und hasserfüllte Flüche ausgestoßen hatte.
Die Menschen, die ihm dienten, starrten ihn entsetzt an. Seine Gestalt hatte nichts mit dem großen ruhmreichen Samuel Alt gemein, von dem man überall erzählte. Mager war er stets gewesen, da er alle köstlichen Speisen ausgeschlagen und mit trockenem, hartem Brot vorlieb genommen hatte. Nun aber schien es, als hätte er in den Wochen des Leidens nicht einmal davon gegessen, sondern alles Nahrhafte verschimmeln lassen und sich mit abgestandenem Wasser begnügt – wie seinerzeit in den stummen Wintermonaten, nachdem Baron Lothar seine Bilder verbrannt hatte.
Seine Haut hing in Falten vom Gesicht. Sein Mund glich einem schwarzen Loch, aus dem eine zänkische Stimme kroch.
»Es ist deine Schuld!«, kreischte er und deutete auf Lena. »Du hast es angerichtet! Du hast verhindert, dass ich Engel male, die Menschen erbeben, schreien, weinen lassen!«
Seinem Blick folgten andere. Es erleichterte die Versammelten, nicht mehr auf den verwüsteten Samuel starren zu müssen, sondern auf eine junge Frau, die sich erbärmlich duckte.
Wenige schützten sie. Andreas fehlte an ihrer Seite. Nur Doktor Simon Grothusen ließ sich sachte von seiner Ecke vernehmen, wo er rauchend wartete. »Gemach, gemach«, warf er ein.
Samuel überhörte und übertönte ihn.
»Du hast meinen Finger gebrochen!«, zischte er zu Lena. »Wie sollen meine Engel jemals in den weiten Himmel fliegen können? Wie soll ihr graziles Gefieder sanft im Abendhauch flattern? Wie sollen sie nicht erbärmlich flügelschlagend am Boden hocken bleiben? Deinetwegen ist unsere Sache verloren! Starrt mich nicht an! Haut doch einfach ab! Bei Samuel Alt gibt’s nichts zu sehen, zu holen, zu lernen! Verstreut euch in die vier Himmelsrichtungen und sehnt euch umsonst nach deren Weite!«
Verlegen schlug Lena ihre Hände vors Gesicht.
»Gemach, gemach«, murmelte Grothusen ein zweites Mal, durchkreuzte den Saal und gab ihr Schutz vor der Empörung.
Während Samuel mit dem gekrümmten Finger fuchtelte, hob Grothusen auf seine Weise die Hände. Die Gesten, die er dem Maler entgegensetzte, waren ausgereifter und gewichtiger. Er gab den Takt an und zwang den anderen zum Verstummen.
»Die Verzweiflung steht dir«, sagte er zu Samuel hin, »aber sie sollte nicht letzte Antwort auf dein Geschick sein ...«
»Halt’s Maul!«, zischte Samuel verbittert. »Halt’s Maul! Du magst dich zufrieden nennen, läufst mit edlen Stoffen und dicken Zigarren umher, kaufst dir von dem Geld, das du an mir verdienst, edle Rösser und lässt sie das komfortabelste Gefährt ziehen! Aber selbst wenn du meine Bilder für teures Geld in die ganze Welt verkaufst, sind sie dennoch nicht gut genug. Sie bringen die Menschen nicht um den Verstand. Verdammt noch mal, ich will Engel malen, wie ich Menschen malte – und Lena hat es verdorben!«
Er spuckte vor Zorn. Nachlässig wich Grothusen seinem Speichel
Weitere Kostenlose Bücher