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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
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habe mein Leben lang nie Krankheiten erlitten und nie Schmerzen verspürt. Deswegen konnte ich mich den schlimmsten Seuchen viel dichter nähern als jeder andere, um ihre Ursachen zu erforschen. Die Bücher, die ich schrieb, wurden in viele Sprachen übersetzt und in ganz Europa verbreitet.«
    Sein Angeben war selbstverständlich. Er sprach ohne Stolz, aber mit der Sicherheit, in seiner Sache gut zu sein. Andreas ahnte den Grund seines Hierseins.
    »Doktor Grothusen hat mich eingeladen, Samuel Alts Gast zu sein«, erklärte der andere bereits, und wieder wurde sein dunkles, fast bläuliches Zahnfleisch sichtbar. »Er bot mir an, Experimente durchzuführen, wie sie die medizinische Wissenschaft noch nicht kannte. Letzterer diene ich, und wenn ich meinen Beitrag zur Erforschung des menschlichen Körpers zu leisten vermag, so bin ich zufrieden.«
    Sprach’s und schwieg, ohne auf Antwort zu warten.
    Schwer hockte Andreas auf der schmalen Bank. Still wie Doktor Mohr hielt er sein Gesicht in den Abendwind. Seine Haare wurden zerzaust, während des Doktors Frisur mühelos hielt.
    Andreas versuchte nicht, sich die Strähnen aus dem Gesicht zu streichen, sondern hielt das Andachtsbildchen in den Händen, als wäre es dort festgeklebt.
    Doktor Mohr warf einen spöttischen Blick darauf.
    »Welch verkehrte Anatomie«, sagte er sanft lächelnd.
    Andreas blickte hoch. »Wie?«, entfuhr es ihm.
    »Welch verkehrte Anatomie!«, wiederholte Doktor Mohr und deutete auf das Bildchen, auf dem die Gottesmutter Maria dargestellt war. »Das Herz befindet sich beim Menschen unter der linken Brust. Bei Eurer Allerseligsten hingegen prangt es mitten unter dem Hals, sodass man meinen könnte, das Schlucken fiele ihr schwer!«
    Andreas zuckte mit den Schultern. Er hatte seit Stunden nichts gegessen und getrunken. Er wusste nicht mehr, wie es war zu schlafen.
    »Man liebt mit dem Herzen«, sagte er leise.
    Doktor Mohr neigte sich ihm höflich lächelnd zu. »In De Motu Cordis steht nichts, als dass das Herz das Organ ist, welches das Blut durch den Körper pumpt«, belehrte er freundlich. »Zwei Arten des Blutflusses gibt es im Körper: einen, der zum Herzen hin-, und einen, der von dort wegführt. Um diesen Blutfluss zu ergründen, hat der englische Mediziner Stephen Hales mit einer festgeschnallten Stute Experimente durchgeführt. Er hat deren Arterie in eine schmale Messingtube eingeführt, sie mit einer drei Meter langen senkrechten Glasröhre verbunden und festgestellt, dass der Druck des Kreislaufs das Blut im Glasrohr zu einer Höhe von acht Fuß und drei Zoll trieb und im Takt mit dem Herzschlag fiel.«
    Schweigend lauschte Andreas. Es war so kühl, dass er nicht schwitzte.
    »Die glatte Muskulatur des Herzens«, fuhr Doktor Mohr fort, »welche die Blutgefäße umgibt, zieht sich zusammen oder entspannt sich in Reaktion auf Signale verschiedener Nerven. Dies erweitert oder presst die Blutgefäße zusammen.«
    Andreas lockerte seine Finger. Das Marienbildchen entflatterte ihm, und er sah hinterher, ohne es sich zurückzuholen. Als es ihren Blicken entschwunden war, sprach Andreas leise.
    »Ich bin schuldig«, sagte er.
    Doktor Mohr hatte eben fortfahren wollen. Freundlich lachte er darüber hinweg, dass der andere ihn unterbrochen hatte. »Aber woran seid Ihr denn schuldig, Baron von Hagenstein?«
    Andreas schüttelte scheu den Kopf.
    »Ich bin schuldig«, sagte er leise, »dass Ihr hier sein müsst. Nein, nein, widersprecht nicht! Lasst mich ausreden. Ihr seid Wissenschafter! Ihr seid immun gegen Krankheit! Ihr dient der Medizin in gleicher Weise wie der Vernunft! So kann ich mir nicht denken, dass Euch liegt, was Ihr hier vorfindet...«
    Andreas wandte seinen Blick verlegen ab, aber hörte nicht auf zu sprechen. »Dies ist der Ort einer seltsamen Liebe. Sie gilt Samuel, und sie gilt Engeln.«
    Der Doktor tastete sorgfältig seine Frisur ab, ehe er antwortete. »Das alles geht mich nichts an. Ich bin lediglich hier, um Experimente zu machen an der Schwelle des Todes, wie ich sie an keinem anderen Ort der Welt ausführen kann, und ich...«
    »Ihr müsst uns alle für verrückt halten!«, unterbrach ihn Andreas heftig, und seine Stimme wurde flehentlich. »Ihr kennt Samuel nicht, weil man ihn von Euch fernhält! Ihr wisst nicht um das Verderben, das er verbreitet. Bedenkt, wie absurd sein Verhalten ist! Bedenkt, dass es nicht übereinstimmen kann mit den Weisheiten, die Ihr in Euren medizinischen Lehrbüchern findet! Bedenkt, dass Euer

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