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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
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Hals binden und mich erwürgen? Also werde ich weiterleben und in den Süden ziehen.«
    Beim letzten Satz erbleichte Grothusen.
    »Warum in den Süden?«, fragte er und dachte an veraltete Pläne.
    »Warum bleibst du bei ihm, Simon?«, gab Andreas zurück, anstatt zu antworten.
    Sie maßen einander schweigend und traurig.
    »Ich bin nicht seinetwegen hier«, erklärte Grothusen schließlich, »denn ich bin der Einzige, der nie an seine Engel geglaubt hat. Wie aber kannst du gehen? Was hilft dir, dich von ihm loszusagen?«
    Andreas lächelte sanft. Er war klein und unauffällig. Er würde Arbeit und ein Leben finden, ohne dass man ihm jemals Fragen stellte.
    »Ich habe Samuel geliebt und begehrt«, erklärte er so stur, wie er dereinst an Samuel festgehalten hatte, »aber das kann kein größeres Vergehen gegen die Sitten sein, als mit dem Blut sterbender Menschen zu malen. Ich werde mich dafür nicht mehr selbst verachten.«
    Er stand aufrecht und nicht gebeugt, wie es sonst seine Art war.
    »Und du«, fragte er nach langem Schweigen, »wenn du nicht um Samuels Willen bleibst – ist es Lena? Liebst du sie?«
    Rasch senkte Grothusen seinen Blick und fühlte beschämt salzige Tränen in seine Augen steigen. »Sie gleicht mir«, entschied er rasch. »Sie wird es eines Tages erkennen.«
    Da neigte sich Andreas vor und hauchte ihm einen Kuss auf die ledernen Wangen. Andreas’ Lippen waren voll und weich und zärtlich.
    »Ich habe euch zu denunzieren versucht – beim Bürgermeister und bei Doktor Mohr.«
    »Und das sagst du mir«, murmelte Grothusen und drückte ihn sehnsüchtig und neidisch zum Abschied, »während du mich küsst?«

Mit Gräfin Veronika verlasse ich den Friedhof – doch auch entfernt von den Gräbern bleibt sie Vergangenheit und Tod verhaftet. Ganz gleich, worüber sie spricht – entweder klingt es gnadenlos oder hämisch. Sie ist launisch wie der Föhn, der hierzulande weht.
    Schon will ich sie alleine lassen, mit ihrer Schadenfreude und ihrer Verbitterung, da kommt mir, den Gutshof erreichend, eine Idee, wie sich beides für meine Zwecke nutzen lässt.
    »Ihr wisst«, beginne ich, »Ihr wisst, dass ich Samuel Alts letztes Bild suche.«
    Ihre Augen sind misstrauisch zusammengekniffen.
    »Besser wär’s«, geifert sie, »man würde es niemals sehen.«
    »Das sagtet Ihr bereits«, versuche ich mit werbender Stimme, »und doch ist meine Hoffnung, dass Ihr mir helfen werdet.«
    Sie stockt, um sich hernach gleichgültig zu geben.
    »Warum sollte ich?«, tönt es unwirsch aus ihrem Mund.
    Ich zögere mit Absicht, um ihr dann ganz dicht ans Gesicht zu kriechen.
    »Weil Ihr Samuel hasst«, erkläre ich flüsternd. »Weil Ihr von einem Fluch sprecht, der immer noch über Euch lastet. Weil Ihr ihn verwünscht für das, was er getan hat.«
    Sie zögert.
    »Begreift doch«, sage ich. »Ich, Moritz Schlossberg, kam als Kunstkritiker aus der Hauptstadt gereist, um Samuels Werk zu erforschen. Was mich treibt, ist der Wunsch, in ihm einen großartigen Maler zu erkennen. Doch dieser Wunsch macht mich nicht blind. Es könnte sein, dass mich sein letztes Bild mehr abstößt denn verzaubert. Es könnte sein, dass ich es bin, der besiegeln wird, dass man sich seiner zu Unrecht besinnt und er es nicht wert ist, als Großer seiner Zunft benannt zu werden. Wenn Ihr mir sagt, wie ich sein letztes Bild zu sehen bekomme, und wenn ich solcherart den Beleg finde, wie viel sein Talent tatsächlich taugt, so ist es möglich, dass ich hochtrabende Gerüchte verwische und seine Leistungen ein für alle Mal zurechtstutze.«
    Ich sehe ihr an, dass sie sich in einer ihrer plumpen Rechnungen ergeht, die Nutzen und Schaden einander gegenüberstellen soll – so wie sie ansonsten die Lebensverweigerung mit dem Lebensunglück aufwiegt.
    »Bitte...«, setze ich hintendran.
    »Geht zurück zu Lena«, murmelt sie schließlich.
    Wir haben das Portal erreicht. Der Schimmel ist in der Dämmerung nicht sichtbar. Aber es zeigt sich, dass kein einziges Fenster beleuchtet ist.
    »Lena ist mächtig«, fährt sie fort und verharrt in Gedanken. »Ihr Schrei kann den Lauf der Welt unterbrechen. Ihr Schrei kann alles verändern. Nur hat es ihr niemand gesagt. Sie ist die mächtigste aller Frauen – aber sie weiß es nicht.«
    Ihre Worte erscheinen mir als bloßes Geschwafel, mit dem ich nichts anfangen kann, aber zumindest reißen sie nicht ab.
    »Was soll ich Lena sagen?«, frage ich.
    Ein Grinsen erscheint auf ihrem alten Gesicht und färbt es

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