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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
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schenkte sich erst wieder ein, als sein Sekretär spät nachmittags zurückkehrte.
    »Wollt Ihr ein zweites Gläschen?«, fragte er.
    »Was werdet Ihr gegen Samuel unternehmen?«, fragte Andreas zurück.
    Der Sekretär berichtete.
    Manche wüssten nichts von einem Samuel Alt. Andere meinten, seine absonderliche Gemeinschaft sei nicht zu bekritteln, solange der eigene Friede bewahrt bliebe. Wiederum andere sagten aus, sie würden im Palais gutes Geld verdienen – einem jeden sei es leicht möglich, einen Dienst dort zu ergattern. Einer bedauerte, dass Andreas von Hagensteins Vater nicht mehr lebte, er sei ein guter Mann gewesen. Der, der ihn begleitete, gab das Gerücht weiter, dass ein Doktor der Philosophie sich jetzt im Palais aufhalte, es seien sodenn dort lauter hohe Herren unter sich. Niemand, so hieß es, würde gezwungen zu bleiben.
    Bürgermeister Scheyrer lauschte aufmerksam und erleichtert.
    Er lehnte sich zurück und genoss den ersten Tropfen Holunderlikör wie ein seltenes Labsal. Trinkend dachte er, dass es wichtig sei, nicht nur auf Verfärbung zu achten, sondern auch, den Trank seltener zu sich zu nehmen. Er schmeckte hernach umso besser. Er war eine umso größere Belohnung.
    »Also der zweite Brief«, entschied er fröhlich.
    Andreas stand auf. Beunruhigt betrachtete der Bürgermeister sein bleiches Gesicht.
    »Ihr habt ja gar keine Farbe im Gesicht!«, rief er entsetzt und vergaß, dass er Farben fürchtete. »Und doch müsst Ihr Euch keine Sorgen machen und nicht länger von Schuld sprechen. Es könnte mir nichts einfallen, was Euch anzulasten sei! Macht Euch keine Sorgen – denn was sollte man Euch vorhalten, wenn es kein Verbrechen gibt?«
    Andreas ging wortlos von ihm.
    Er schlich um den See, der im ergrauten Licht wie ein faltiges Tuch aussah, das Gott nachlässig hatte fallen lassen. Lange stand er davor, erspähte sein Spiegelbild, kniete sich schließlich hin, um sein Gesicht und seine Hände einzutauchen. Er stellte sich vor, wie leicht es wäre und wie schön, sich zu entkleiden und nackt zu baden. Er würde eintauchen ins Wasser, nicht mehr an die Oberfläche zurückkehren, sondern sinken wie ein Stein. Das kühle Nass würde über seinem Kopf zusammenschlagen und seinem vermaledeiten Leben ein Ende setzen. Es würde keine Qual mehr geben, keine Schuld, keine Enttäuschung.
    Dann aber fiel ihm ein, dass er zuerst Samuel denunzieren und erst hernach hatte sterben wollen, dass Maximilian Scheyrer seinen Verrat nicht besiegelte und er einen anderen dafür finden musste, ehe der gnädige Tod ihm gestattet wäre.
    Die ganze Nacht blieb er in der dunstigen Luft hocken, anstatt zu schlafen. Im Morgengrauen wanderte er erneut stundenlang am See entlang, stolperte in eine kleine Kapelle und verließ sie wieder – ohne Zuspruch eines Geistlichen, den er gesucht hatte. Ein solcher war nicht anzutreffen, nur ein betendes, altes Weiblein, das ihm nicht zuhörte, als er von Samuels schändlichen Taten zu klagen begann, sondern das ihm schweigend ein kleines Andachtsbild in die Hand drückte.
    Er ließ es selbst dann nicht los, als es erneut Abend wurde, er heimkehrte und im Garten des Palais die Hecken entlangschritt, die sachte nach Herbst zu riechen begannen. Es war ihm noch nicht aufgefallen, dass die Hitze des Sommers verfiel. Fröstelnd stand er am Ende der Hecken, von wo aus der See zu erblicken war, und als er sich auf eines der kleinen Bänkchen setzte, gewahrte er nicht weit von sich einen unbekannten Mann, der gleichfalls im Garten Platz genommen hatte. Er war dünn und schmächtig, trug helle, fast weiße Kleidung und hatte die grau durchsetzten Haare mit glänzender Pomade zurückgekämmt. Keine einzige Strähne löste sich im Abendwind.
    Andreas blickte ihn zögerlich an, woraufhin der andere höflich lächelte. Dabei hoben sich die schmalen Lippen unmerklich und machten dunkelviolettes Zahnfleisch sichtbar.
    »Es tut mir Leid«, stotterte Andreas. »Es tut mir Leid – aber ich kenne Euch nicht.«
    Aufmunternd lächelte der Weißgewandete fort. »Lieber Herr von Hagenstein«, nannte er ganz selbstverständlich Andreas’ Namen und schien zu wissen, wen er vor sich hatte. »Nicht Ihr seid es, der sich entschuldigen sollte. Ich meinerseits habe es zu lange verabsäumt, mich vorzustellen, wiewohl es Wochen sind, die ich in Eurem Heim zubringe.«
    Beim letzten Wort erhob er sich sachte von der Bank und deutete eine Verbeugung an.
    »Mein Name ist Doktor Thomas Mohr. Ich bin Pathologe. Ich

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