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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
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man stumpfsinnig werden in dieser Umgebung! Überall kriechen Geschichten an den Wänden, überall verknoten sich Namen, um mich zu Fall zu bringen. Ich wünschte, ich könnte den heimtückischen Ort meiden bis auf die Kammer, wo Samuel Alts letztes Bild verwahrt liegt. Ach, wäre ich mir sicher, dass es jenes hier zu finden gibt und dass es alle anderen Bilder von ihm in den Schatten stellt!
    Ohne weitere Erzählung lässt mich der Alte schließlich stehen, deutet stumm auf eine Tür und macht sich aus dem Staub. Ein letztes unheilvolles »Gebt Acht!« verbleibt als Mahnung – dann bin ich ihn los, zuerst erleichtert darüber, schließlich zögernd, ob ich den Raum betreten soll.
    Gewiss ist alles, was er sagte, Übertreibung und Lüge. Und dennoch schafft er, dass ich etwas hinter dieser Tür vermuten muss, was ein Urteil über jene Frau Lena verlangt. Es ist kein bloßer Name mehr. Er hat sich vollgesogen mit dunklen Märchen und fordert mir vielleicht sogar ab, den Zuhörer verflossener Erinnerungen zu mimen.
    Nur widerwillig ringe ich mich durch. Als ich klopfe, eintrete und mir anschaue, wie diese Lena in der Ecke eines Zimmers hockt, sammelt sich alles in mir zur baldigen Flucht. Unscharf nehme ich wahr, dass der Raum bis auf ein Bett, ein Spinnrad und einen Webstuhl leer ist.
    Lena hebt ihr Antlitz, schaut mich dumpf an und erscheint mir wie ein Mädchen. Sie hat ein altes Gesicht, das schon, übersät mit Falten und Runzeln. Aber dahinter ist sie jung wie vor zwanzig Jahren. Sie drückt sich vor des Lebens Last. Sie hat sich an den beiden Jahrzehnten vorbeigehockt.
    Für Augenblicke neige ich zum Erschrecken, begegne ihr, als wäre sie die erste ihrer Art – gleichsam alt und jung, verfault und unverbraucht, wehrlos von Gräfin Veronika hier weggesperrt und dabei gleichgültig, unnahbar und starr. Sie zeigt keine Regung. Sie ist nicht überrascht, mich zu sehen, während alles in mir nach Fassung ringt.
    »Bleibt mir fern«, erklärt sie mit ausdrucksloser, aber befehlender Stimme. »Bleibt mir fern. Ich bringe Unheil und Tod.«

»Die Flügeldecken zersprangen,
Weit, morgenschön strahlt’ die Welt,
Und übers Grün sie sich schwangen
Bis an das Himmelszelt.
Das fanden sie droben verschlossen,
Versäumten unten die Zeit –
So irrten die kühnen Genossen,
Verlassen in Lust und Leid.«
JOSEPH VON EICHENDORFF

FÜNFTER TAG
    Es ist zu erzählen, wie Samuel Lena die Hand entzieht,
    sich ein Doktor Grothusen vorstellt und Cronberg
    zur neuen Heimat wird
    Samuel nannte sich von nun an schlichtweg »Alt«. Mit dem kurzen neuen Namen ging es durch die Welt, und die Welt stellte sich als erstaunlich groß heraus. Zu dritt zogen sie ins Salzburgerische und hier die Bayerische Grenze entlang, lebten eine Zeit lang in München, wo Samuel – als er mit seinen Bildern vorstellig wurde – von einem Professor der Kunstakademie verspottet wurde, verließen schließlich die deutschen Lande, um durch Belgien, Holland und Dänemark zu wandern.
    Sie reisten, aber sie kamen nicht weiter. Lena erwartete von Samuel Sauberkeit, Andreas das Große, das seine eigene schändliche Natur überstrahlte, und gemeinsam trieben sie ihn an. Da sie ihn aber in ihrer Mitte hatten, begnügten sie sich mit dem vagen Anspruch, er möge zu ihnen gehören. Sie erklärten ihm nicht, wie und auf welche Weise er Engel malen könne, die so wahrhaftig waren wie seine Menschenbilder. Sie vermochten nicht, seine Scheu vor Menschen auszugleichen und ihn in die Nähe jener zu führen, die Interesse zeigten für seine Kunst.
    Fruchtlos blieb Samuels anfänglicher Eifer, nach Verbündeten zu suchen. An Stelle der rohen Gewalt, wie er sie nach dem ersten Engelmalen in der Heimat erlebt hatte, trat in der Fremde absolute Gleichgültigkeit für einen wie ihn. Sie nahm ihm die Lust zu malen, stimmte ihn mutlos und schließlich überdrüssig.
    Lena und Andreas vermochten ihm darüber nicht hinwegzuhelfen. Sie gaben ihm ihr Blut zum Malen, aber es war ein so williges, selbstverständliches Opfer, dass es ihn wertlos deuchte. Von ihrer bedingungslosen Nähe verfolgt, zog er umso schneller durch die Welt und suchte hektisch, aber vergebens eine Richtung, da die Richtung derer, die ihn antrieben, er selbst war und sonst nichts.
    Im ersten Jahr begrenzte sich sein Sprechen darauf zu benennen, wann er einen Ort satt hatte und weiterziehen wollte. Das Warten darauf, dass sich in seinem Leben etwas zutragen möge, was seine Teilnahme erforderte, stumpfte ihn

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