Engelsblut
ab. Er begann es Lena und Andreas zu neiden, dass jene ihn hatten, er aber immer noch keine Aufsehen erregenden Engel malen konnte, dass sie wussten, was sie wollten – nämlich ihn –, er aber von einem Trachten getrieben war, dessen Ziel sich nicht erzwingen ließ. Zuletzt verachtete er sie für ihre Bequemlichkeit, sich mit seiner Nähe zu begnügen, anstatt ihm zu einem Kreis kunstverständiger Menschen zu verhelfen – und bestrafte sie dafür.
Mehr als einmal hatte Lena bis dahin versucht, ihre Liebe zu vollziehen, ihn so zum Mann zu machen, wie sie vermeinte, dass er’s sein würde. Immer hatte er sie zurückgestoßen, sich ihren Händen entzogen und ihr zuletzt verboten, nächtens sein Zimmer zu betreten. Nichts weiter gewährte er ihr, als manchmal vor dem Raum seines Schlafens den Atemzügen zu lauschen und etwas herauszuhören, was ihren Entschluss für ihn beglaubigte.
In einer Nacht aber – es war nach mehreren Tagen, da Samuel der Melancholie verfallen war und das Essen verweigerte wie in der Zeit seiner Weltenflucht –, da ließ er sie zu sich in sein Zimmer und ins Bett und erlaubte ihr ungehörig freimütig, an ihn heranzurutschen. Sie sah in der Dunkelheit seinen Blick nicht, aber sie spürte, wie er wortlos auf sie starrte und darauf wartete, was sie tun würde.
Lange wagte sie nicht, sich zu bewegen. Die Hartnäckigkeit, mit der sie ihn und seinen Körper einforderte, war so groß wie die Furcht, ihn zu beschmutzen. Erst als er nichts tat, um seine Erlaubnis, bei ihm zu liegen, zurückzuziehen, festigte sich ihr Entschluss, ihre Liebe endlich zu vollstrecken. Unruhig begann sie, mit ihren Händen den eigenen Körper abzutasten, und schuf sich solcherart die Hoffnung, sie möge – wenn sie nur erst sich selbst beherrschte – auch ihn zu fassen bekommen. Sie berührte sich dort, wo sie sich noch nie angefasst hatte. Dass ihr Körper fruchtbar geworden war mit dem Tag, da Samuel in ihrem Leben erschienen war, hatte sie hingenommen, ohne es sonderlich zu beachten. Jetzt nutzte sie diesen Körper, um Samuel in der Dunkelheit an sich zu schmieden. Während er sie unverwandt anstarrte, entblößten ihre Finger ihre nasse Scham und begannen sie zu streicheln, bis ihr ein leises Stöhnen entfuhr. Nachdem sie begonnen hatte, konnte sie nicht mehr aufhören damit. Sie fühlte eine Lust in sich wachsen, von der sie meinte, sie müsse auch Samuel mitreißen. Tatsächlich tat er nichts, um sie aufzuhalten. Sie streichelte sich heftiger; sie öffnete weit ihren Körper für die suchenden Finger, um darin einzutauchen. Sie dachte, dass für diesen kurzen Moment nur Samuel und sie auf dieser Welt wären, und dass er sie nicht zu endigen hieß, gab ihr den Mut, das Unerlaubte zu wagen. Sie griff nach ihm. Sie nahm seine Hand und führte sie dorthin, wo die eigene am Werk war. Sie bedurfte nicht seines restlichen Körpers. Den wollte sie nicht schmutzig machen. Aber die Hand – die Hand sollte ihr gehören.
Samuel lieh sie ihr. Seine Finger waren schlaff, aber erlaubten, dass sie Bewegungen damit formte. Er gewährte ihr den Besitz seiner Finger – und seines Blickes. Obwohl seine Augen in der Schwärze des Zimmers nicht mehr waren als ein dunkler Schatten auf seinem schemenhaften Gesicht, versank sie darin. Sie stöhnte und schrie diesem Blick zu und verstärkte den Druck seiner Finger.
Erst dann, in jenem Moment, da sie beinahe unter der eigenen und fremden Hand zu zucken begann, richtete sich Samuel auf, entriss ihr die Hand und entzog ihr seinen Blick.
Ihr Körper schauderte enttäuscht. Ihre Seele war entblößt.
»Fass mich nicht an!«, zischte er böse. »Wag es nicht, mich zu berühren! Engel haben keinen Körper und kennen keine geschlechtliche Liebe! Ich will davon nichts wissen – und falls du mir folgen willst, so musst auch du davon lassen!«
Seine Stimme war nicht nur zornig, sondern rachsüchtig. Er ahndete, dass er ihrer bedurft hatte, um in die Welt zu ziehen. Unsanft stieß er sie aus dem Bett und gab ihr zu verstehen, dass er einzig darum gewartet hatte, ihr seine Hand zu entziehen, damit sie die Leere in ihrem Schoß umso unerträglicher deuchte.
»Jetzt weißt du, wie’s ist – ein Ziel zu ahnen und es nicht zu erreichen!«, setzte er flüsternd nach.
Hilflos rappelte sie sich auf und wusste nicht, warum er sie so streng verstieß. Ihre Wangen glühten noch, nur ihre Füße waren eiskalt.
Sie schlich aus der Kammer, zerrissen von dem Wunsch, ihm zu gehorchen, und von ihrem
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