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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
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scherte sich darum. Selten fiel ein müder Blick aus einem Fenster der Fachwerkhäuser. Laut begann er, die Mittelmäßigkeit der Menschen zu beklagen, beschimpfte sie als Versager, Heuchler und Lügner, bekundete, dass sie allesamt nicht wert seien, von ihm gemalt zu werden; Engel allein wären es wert, und wer für diese Engel sein Blut gebe, könne sich ein wenig über das elende Pack erheben. Die meisten freilich wären zu verblödet, sich solcherart nützlich zu machen, und würden sich lieber im Dreck der Welt vergraben und Abschaum bleiben.
    Was er brüllte, wurde nicht verstanden. Dass er es herrisch und aufdringlich tat, umso mehr. Ehe Andreas ihn schüchtern und Lena befehlend zum Schweigen bringen konnten, hatten ihn die Ordnungshüter verhaftet und ins Zuchthaus an der Hauptwache gebracht, worin er eine Nacht lang seinen Rausch ausschlafen sollte.
    Dort schrie er weiter, beklagte sein Geschick, das ihn den unverständigsten aller Zeitgenossen ausliefere, tobte, dass die Welt eine verlorene sei, wo einer wie er keine Anerkennung finde. Nun, da er von Lena weggesperrt war und nicht an ihren lebensspendenden Fäden hing, brach er zusammen. Heulend spie er Rotz und Speichel und Tränen und verfluchte alle, mit denen er jemals zu tun hatte.
    Schlaflos vor Angst überstanden Lena und Andreas die Nacht. Als er am nächsten Tag auf die Straße geworfen wurde, empfingen sie ihn kleinlaut. Er selbst, der eben noch erschöpft verstummt war, dankte ihnen das Warten nicht.
    Kraftlos, aber bitterböse ging Samuel auf Lena zu, nannte sie einen lausigen Bankert, der zu nichts taugen würde, fuhr sie an, was sie hier bei ihm wolle, sie solle doch gleich mit Andreas das Weite suchen. Ja, ja, jener werfe ihm Geld nach und bestreite sein Leben – und doch wäre es besser, er kaufe ihr ein hübsches Kleidchen und setze sie in ein ebenso hübsches Schloss, er aber wolle Ruhe haben vor ihnen beiden.
    Lena ließ ihn gewähren, wie er da schrie. Als er sich aber vorneigte und sie obendrein packen und schütteln wollte, beantwortete sie das, wie sie’s von Kindheit an gewohnt war. Dass er ihr den spärlichen Lebensplatz streitig machte, erlaubte sie nicht. Ohne zu bedenken, dass es Samuel war, den sie nie wieder hatte schmutzig machen wollen, schlug sie ihm ins aufgebrachte Gesicht.
    Vor Schreck erhob sie erneut die Hand, um mit einem zweiten Schlag von der Ungeheuerlichkeit des ersten abzulenken. Noch während Samuel sich duckte und ihre Finger hart durch die Luft fuhren, spürte sie, wie jemand sie packte und festhielt. Es war nicht Andreas. Andreas war nicht stark. Die fremde Hand aber, die ihre festhielt, war die kräftigste, die sie je gespürt hatte. Sie war schmal, kleinfingrig, aber sehnig.
    Ehe sie das Gesicht des Fremden erblickte, der sich ungefragt einmischte und Samuel vor ihr bewahrte, erschauderte Lena, trat zurück und fühlte statt des Entsetzens über ihr Schlagen nur noch blanken Schrecken darüber, dass eine andere Hand stärker war als die eigene.
    Diese Hand löste ihre Umklammerung, gab Lena frei, und es zeigte sich der Mann, zu dem sie gehörte und zu dem sie nicht zu passen schien. Kein Zeichen jener Kraft, mit der er sie zurückgehalten hatte, war an ihm zu erspähen, während er hastig seine Finger hinter dem Rücken versteckte, höflich und zurückhaltend nickte und mit seinen Augen nicht Lena, sondern Samuel fixierte. Zielstrebig wandte er sich an ihn, als hätte er mit Lena nie zu schaffen gehabt.
    »Mit Verlaub«, begann er – und seine Worte klangen wie Metall, das aufeinander klirrte. »Mit Verlaub«, wiederholte er, löste seine Hände wieder vom Rücken und fuchtelte mit ihnen durch die Luft. »Ich habe gestern beobachtet, wie Ihr Eure Bilder zu verkaufen versuchtet – und wessen Ihr die Menschen zeiht, die sich diesen verweigern...«
    Seine Worte waren gebremst, aber die Stimme durchdringend, die Züge schmal, aber das Lächeln glitschig.
    Eben noch, bevor der Fremde zu sprechen begonnen hatte, war Samuel geneigt, auf ihn loszugehen. Doch der unbekannte metallische Klang ließ ihn die Ohren spitzen, und er hielt unwillkürlich inne.
    Lena duckte sich noch tiefer und verschämter.
    »Lieber Freund«, fuhr der Fremde lächelnd fort und kroch auf Samuel zu. »Lieber Freund, wenn Ihr von Eurer Kunst leben wollt, so müsst Ihr andere Worte finden! Und wenn Ihr meint, Ihr vermöget Herausragendes zu schaffen, so seid Ihr hier in der Stadt am falschen Ort. Die Wagemutigeren Eurer Zunft ziehen sich

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