Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut
Bedrohung.“ Ravins Stimme klang ruhig. „Eine Bedrohung, die ausgemerzt werden muss. Du warst schon damals nicht mehr als ein Tier. Ein Wolf, der sich nicht ins Rudel fügt.“
„Ein Rudel, das von einem verrückten Despoten geführt wird.“ Kain stieß den Atem aus. „Ich habe mich immer gefragt, was dich bei ihm hält. Du könntest den König jederzeit stürzen.“ Er machte eine Handbewegung zu den anderen Männern. „Sie folgen nicht ihm, sondern dir.“
„Warum bist du zurückgekehrt?“, fragte Ravin, ohne darauf einzugehen. „Willst du Rache?“
„Vielleicht.“ Kain zuckte mit den Schultern. „Vielleicht auch nicht. Vielleicht übermannt mich die Liebe zu meinem Vater, wenn ich vor ihm stehe?“
„Das wird sich zeigen, nicht wahr? Lass die Waffen fallen.“
Aus dem Augenwinkel beobachtete Kain die beiden Männer, die sich aus der Gruppe gelöst hatten und ihn umkreisen wollten. Er machte ein paar Schritte zurück, bis er die Kälte der Wand in seinem Rücken fühlte. Alan musste direkt hinter ihm sein. Ein großgewachsener Typ mit Rasta-Zöpfen und tätowierten Armen hob die Maschinenpistole.
„Das würde ich an deiner Stelle nicht tun.“
Erleichterung überflutete Kain, als er Alans spöttische Stimme hinter sich hörte.
„Diesen Kerlen kannst du einfach nicht trauen.“
Alan trat neben Kain ins Licht der Fackel. Überraschung gefror in den Gesichtern der Männer, Zaudern. Unsicherheit. Der Mann mit den Rasta-Zöpfen starrte ihn an wie einen Geist.
„Habe ich nicht recht, Ravin?“
Ravins Augen verengten sich. Er hatte sich besser im Griff als die anderen, die geglaubt hatten, dass Alan gestorben war, im Marmorfoyer auf dem Dach des Carnegie-Gebäudes.
„Alan“, sagte der Hüne endlich.
„Du freust dich nicht, mich zu sehen?“ Alan streifte den Schwertgurt vom Rücken. Er betrachtete die Metallscheide in seinen Händen, hob den Blick zurück zu Ravin. „Ich habe euren Rückzug gedeckt. Ich würde doch meinen, da wäre etwas mehr Herzlichkeit angebracht.“
Kain neben ihm stand reglos, doch Alan war sicher, er war bereit, loszuschlagen. Eine reizbare Spannung hing in der Luft, die jeden Moment in Gewalt explodieren konnte. Die Männer waren nervös und Alan ertappte sich dabei, wie er den Moment auskostete, ihn in die Länge zog.
Sie wussten, wem sie gegenüberstanden. Sie wussten, es würde Tote geben, wenn es zum Kampf kam. Und selbst wenn es ihnen gelang, ihn und Kain zu überwältigen, der Blutzoll würde hoch ausfallen. Das wussten sie, und es erschütterte ihre Zuversicht und ihren Kampfeswillen. Und Ravin wusste es auch und konnte nichts daran ändern.
„Wo ist Eve?“, fragte Alan.
Er wollte nicht verhandeln. Er wollte kämpfen, er wollte sie bluten sehen. Doch zugleich war da ein Rest Vernunft, der gegen diesen zerstörerischen Impuls ankämpfte. Niemand musste sterben, wenn er sie überzeugen konnte, Eve auszuliefern.
„Ich habe gestern viele Leben ausgelöscht“, sagte er. „Um eure zu schützen. Im Gegenzug verlange ich ein Einziges zurück. Ist das zu viel?“
Aus dem Augenwinkel beobachtete er Kain. Er regte sich nicht.
„Das ist nicht so einfach.“ Ravin runzelte die Stirn. „Mordechai erhebt Anspruch auf die Frau.“
„Er wird eine andere finden.“
Alan sah, dass Ravin nachdachte. Dass er es ernsthaft in Erwägung zog.
Ein metallischer Laut durchschnitt die Stille und zog Alans Blick auf die Handgranate, die über den Boden rollte. Im gleichen Moment stieß Kain ihn zu Boden. Die Explosion erschütterte den Boden und füllte die Luft mit Staub. Ein Splitter traf Alan im Nacken. Er brauchte einen Moment, um die Benommenheit abzuschütteln und sich wieder auf die Beine zu kämpfen. Jetzt zählte Schnelligkeit. In einer glatten Bewegung zog er das Schwert aus der Scheide und stürmte tiefer in den Raum. Ein Mann tauchte vor ihm auf, den Alan mit einem beidhändigen Schlag enthauptete.
Im Rückschwung erwischte er den Mann mit den Rasta-Zöpfen, der hinter ihm aus Staub und Dunkelheit auftauchte. Alan fügte ihm eine klaffende Brustwunde zu, machte einen Ausfallschritt und brachte ihn mit einem Hieb in die Kniekehlen zu Fall. Ein Schuss krachte. Im Augenwinkel erfasste er Kain, die Locken rötlich vom Licht der Fackel. Der Geruch verbrannten Fleisches stieg ihm in die Nase.
Einen Sekundenbruchteil später traf ihn ein Schlag in die Seite. Mehr Schüsse fielen. Ein Projektil prallte gegen die Klinge und prellte ihm das Schwert aus der Hand. Er
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