Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut
den Prozess zu verlangsamen. Sie durfte das nicht sehen. Niemand durfte das.
Mit zusammengebissenen Zähnen quälte er sich auf die Füße. Er kämpfte die erste Schmerzwelle nieder und taste-te nach seiner Kehle. Diese Bastarde hatten gewusst, was sie taten. Sie waren auf seinen Tod aus gewesen. Er würde herausfinden müssen, wer sie waren. Und wer sie geschickt hatte.
„Sie müssen gehen“, sagte er.
„Wie bitte?“
Ihr Gesicht spiegelte eine ganze Reihe von Emotionen wider. Überraschung, Erleichterung, Ungläubigkeit. Und Ärger.
„Bitte gehen Sie“, wiederholte er. „Sofort. Ich kann es Ihnen jetzt nicht erklären, aber wenn Sie nicht auf der Stelle gehen, muss ich Sie hinauswerfen.“
In ihren Augen flammte Wut auf und wischte alle anderen Gefühlsregungen beiseite. Alan umklammerte die Mauerkante, als eine zweite Welle ihn traf. Er unterdrückte ein Stöhnen.
„Raus“, knurrte er und stand auf. Er packte Eve am Arm und schob sie zur Tür. Mit mehr Kraft als notwendig, stieß er sie in den Korridor und warf die Tür hinter ihr zu.
Ein Teil von ihm ahnte, dass er das wahrscheinlich nie wieder in Ordnung bringen konnte, ein anderer Teil bedauerte es. Doch es spielte keine Rolle mehr, als die Schmerzen in ihm aufbrandeten und sein Denken auf die elementarsten Funktionen reduzierten. Keuchend brach er auf die Knie.
Er hatte es aufgegeben zu fragen, warum er zuerst durch die Hölle musste, um Heilung zu erfahren. Vor allem für Wunden, die bei gewöhnlichen Menschen tödlich waren. Vor langer Zeit schon hatte er das Fragen aufgegeben. Es spielte keine Rolle. Nichts spielte mehr eine Rolle, außer dem Schmerz in seiner reinsten Form.
5
S eine Muskeln vibrierten vor Kraft.
Kain streckte seine Glieder wie eine träge Raubkatze. Er glaubte, alle Gerüche, alle Stimmen und Geräusche mit tausendfacher Schärfe wahrzunehmen. Das war das Versprechen des Blutes. In seinen Adern brannte das Feuer der ersten Stunden, eine berauschende Macht, die seinen Körper stärkte und seinen Geist zu durchdringender Klarheit schliff.
Der Club befand sich in einem alten Depot am Rande des Fashion Distrikts in einer Gegend voller Autowerkstätten, Lagerhäuser und mexikanischer Trödelläden. Kain badete im Glanz der Lichter. Über ihm im Schatten wölbten sich Bögen aus genietetem Stahl. Er trieb durch schwitzende Menschen. Entspannt schlenderte er eine Balustrade entlang, die sich um die Tanzfläche schwang, das Sanktum im Herzen des Clubs. Eine Frau mit langem, blondem Haar streifte seinen Arm. Sie hatte die Berührung provoziert, und zu einer anderen Zeit hätte Kain ihrem Angebot nachgegeben, aber nicht heute Nacht. Es gab andere Dinge, die er erledigen musste.
Er entdeckte zwei Männer, in denen er das Blut spürte, und die zu jung oder zu sorglos waren, um ihre Andersartigkeit zu verbergen. Nicht, dass es sie vor Kain geschützt hätte. Er wusste, wonach er zu suchen hatte. Dennoch verweilte er nicht länger in ihrer Nähe.
Er hatte ein besseres Opfer ausgemacht, eins, das seinen Zwecken dienlicher sein würde als diese Kinder. Er musste nur geduldig sein.
Der Mann hatte den Club erst vor ein paar Minuten betreten, und Kain glaubte nicht, dass er sofort wieder gehen würde. Er erspähte ihn unten an einer Bar, zusammen mit einer Frau. Die Frau war bedeutungslos, der Mann aber war ein Krieger. Kain schloss es aus der Art, wie er sich bewegte und wie er die Menschen in seiner Umgebung musterte.
Eine Hand berührte ihn im Nacken. Kain drehte sich um und sah, dass die Blondine ihm gefolgt war. Sie trug einen kurzen schwarzen Rock, der den Ansatz ihrer Hinterbacken enthüllte, und Stiefel aus blauem Velours. Violette Strähnen durchzogen ihr Haar.
„Hi!“, rief sie ihm durch den Rhythmus und den Lärm der Tanzenden hindurch zu. „Ich bin Lena.“
Aus dem Augenwinkel beobachtete er, dass sein Opfer seine Gefährtin auf den Schoß zog und sie zu küssen begann. Warum nicht, dachte er mit einem Anflug von Nonchalance. Wer wusste, wie viele Stunden er in diesem Club verbringen musste, bevor der andere sich zum Gehen entschloss? Die Blondine mit den violetten Strähnen konnte ihm die Zeit versüßen und ihn zugleich gegen Neugierige abschirmen. In ihrer Gesellschaft wurde er zu einem unter vielen, auf der Suche nach einem Flirt für die Nacht.
Kain legte einen Arm um ihre Hüften und zog sie dicht an seinen Körper.
„Hallo, Lena.“
Er ließ seine Hand tiefer wandern und forschte nach einer Reaktion in
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