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Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Titel: Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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schwarzes Haar und das Profil eines Mannes, durchfuhr ihn ein Schauder.
    Kurz spielte er mit dem Gedanken, ihm zu folgen. Vielleicht ergab sich eine Gelegenheit. Doch dann verwarf er die Idee, fiel hinter dem Wagen zurück. Die rechte Spur mündete in eine Kurve, die vom Pacific Coast Highway fortführte. Kain blickte den Rücklichtern des Dodge nach, bis der Wagen hinter der Steigung verschwand.

    Dämmerung umhüllte die leuchtenden Türme der Stadt, als Alan in sein Apartment in der Figueroa Street zurückkehrte.
    Ein muffiger Geruch schlug ihm entgegen, als er die Tür aufstieß, eine Mischung aus Öl, feuchten Lumpen und seinem eigenen Blut. Mit einem Fuß schob er die Bandagen zusammen, die immer noch im Raum verstreut lagen. Er richtete die Staffelei wieder auf und stellte das halb begonnene Gemälde zurück auf das Querholz. Der Keilrahmen war an der Seite gebrochen. Alan ertastete einen Riss in der Leinwand.
    Sozialkritisch, hatte Eve gesagt. Er fragte sich, was Marty davon halten mochte. Dann wurde ihm bewusst, dass er zum ersten Mal darüber nachdachte. Zum ersten Mal in fünfzehn Jahren. Marty, der ihn anlachte auf diesem Gemälde, in typischer Pose. Der coole Junge aus South Central LA.
Es geht um Respekt
, hatte Marty gesagt.
Verstehst du, Mann? Es geht um Respekt
. Alan erinnerte sich an einen Tag im Sommer, die Straße flirrend vor Staub und Hitze. Sie hatten auf der Rampe eines Lagerhauses gesessen, Redondo Junction, und blickten auf einen Werkstatthof hinunter, in dem Loks repariert wurden. Das Rauschen des Freeways klang wie Ozeanwellen. Marty hatte ihm erklärt, warum er für Giorgio de Vito arbeitete, und Alans Einwände beiseite gewischt.
    Es geht um Respekt, Mann
. Das war zwei Wochen vor der Nacht gewesen, in der Alan ihn getötet hatte und in der er schwor, nie mehr eine Waffe anzurühren, nachdem er verstand, was er getan hatte. In dieser Nacht war die Kluft zwischen ihm und seinem Vater aufgerissen. Ein schrecklicher Streit. Er war auf Blut aus gewesen, wie wahnsinnig vor Wut. Und bei Gott, die gleiche Mordlust hatte er in Mordechais Augen gesehen. Sie hätten einander umgebracht, wäre Ravin nicht eingeschritten.
    Abrupt wandte er sich ab. Er hob Pinsel und Farbtuben vom Boden auf und legte sie zurück auf den Tisch. Marty war tot. Er würde nicht wieder zum Leben erwachen, egal wie oft Alan ihn auf Leinwand bannte. Lange Zeit hatte Alan über Schuld nachgedacht. Wer trug die Schuld an Martys Tod? Er selbst, der die Kugel abgefeuert hatte? Mordechai, der ihn in seine Schlachten schickte, als Instrument seiner Rache und Begehrlichkeiten? Oder Giorgio de Vito, der halbe Kinder rekrutierte, um Drogen auf der Straße zu verkaufen?
    Alan schob die Fenster auf und lehnte sich hinaus. Er blickte nach unten auf die Fahrbahn, die Scheinwerfer der Autos, die sich auf vier Spuren vor den Ampeln stauten.
    Er hatte nicht gewusst, dass Marty den verdammten Wagen fahren würde in dieser Nacht. Mordechais Krieg mit de Vito ging ihn nichts an. Dennoch erschlug er die Feinde seines Vaters, ohne nach ihren Namen zu fragen. Die Pflicht eines guten Sohnes.
    Das war das Widernatürliche an ihrer Rasse. Ein Menschenleben endete nach einer begrenzten Zahl an Jahren und entließ die Söhne aus ihren Verpflichtungen. Alan aber war auf ewig an seinen Vater gebunden. Ein Vater, der nicht müde wurde, seine Blutschuld einzufordern.
    Martys Tod war Alan im Nachhinein wie ein Peitschenhieb der Götter erschienen, ein Fanal, das die Rechtmäßigkeit seiner Schuld gegenüber Mordechai endgültig in Frage stellte. Er hätte nicht dort sein sollen, in dieser Nacht. Und vielleicht hätte Marty nicht den Wagen für de Vitos Killer gefahren, wenn Alan mit ihm zu einem Baseball-Spiel gegangen wäre an diesem Abend. Oder wenn sie zusammengesessen hätten, wie in anderen Nächten, um zu reden. Über Gott und die Welt, über Martys Träume.
    Alan spürte, wie der Wind die Haut auf seinen Armen abkühlte. Marty war sechzehn gewesen, als er gestorben war. Und Eve fragte, ob seine Bilder sozialkritisch waren? Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Marty hätte gegrinst, wenn ihm jemand gesagt hätte, dass er die Galionsfigur einer Kampagne für die verlorenen Jungs von East L.A. sei. Er hätte gegrinst, und dann den Kopf gesenkt, in plötzlicher Verlegenheit, und hätte etwas gemurmelt, wie: ‚Es geht um Respekt, Mann.‘

7
    D ie Autoschlangen auf der Melrose Avenue in Richtung West Hollywood bewegten sich nur stockend.

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