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Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Titel: Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Der Puls hämmerte ihr in den Ohren wie Schmiedeechos.
    „Wohin?“
    „Nicht weit.“
    Ein Malstrom rotierte in ihrem Kopf. Sie musste Andrej loswerden. Im Lichtkegel der Straßenlaterne flatterte ein Nachtfalter auf. Ein zweiter Falter flog so dicht neben ihr, dass er fast ihre Wange streifte. Eve zuckte zurück. Im Griff des Russen lag kaum Zärtlichkeit. Ihre Haut schmerzte unter seinen harten Fingern. Sie tauschte ein Lächeln mit ihm, das ihre Augen nicht erreichte, ebenso wenig wie die seinen. Der Hunger in seinem Blick schürte ihr Entsetzen wie Wind ein Kohlenfeuer.
    Sie gingen den Olympic Boulevard herunter, passierten die Glastüren des 717. Eve spähte hinein und fand den Concierge-Tisch verlassen. Ihr Puls schoss ein Stück höher. Das war schlecht. Sehr schlecht. Sie konnte Andrej unmöglich mit hoch in ihr Apartment nehmen. Die Wände im Haus waren gedämmt. Kein Mensch würde sie schreien hören, wenn er sich entschied, ihr die Kehle durchzuschneiden, anstatt mit ihr zu schlafen. Nicht, dass sie mit ihm schlafen wollte. Aber das war im Moment ihre geringste Sorge. Ihre Furcht kreiste um die viel elementarere Frage, wie sie Andrej entkommen sollte, wenn er sich als der Psychopath entpuppte, für den sie ihn hielt. Sie zog ihn am Eingang des 717 vorbei, ohne im Tempo inne zu halten. Sie überquerten die Figueroa Street und näherten sich dem Apartmenthaus mit der Ziegelfassade. Aus dem Augenwinkel beobachtete Eve die Züge des Russen. Sie wartete auf ein Zucken, ein Zeichen des Erkennens. Irgendeine Gefühlsregung. Er kannte diesen Ort. Kannte ihn gut. Doch sein Gesicht blieb eine Maske.
    „Wohin jetzt?“, fragte er.
    „Die Straße hinunter.“
    „Ich glaube, du lügst.“ Andrej sagte das ohne Emotion, eine gleichmütige Feststellung.
    „Was?“ Ihr Lachen misslang.
    Er stoppte so abrupt, dass sie stolperte. Mit einem Ruck zog er sie herum und drückte sie gegen die Ziegelmauer. Eve wurde bewusst, wie dunkel es vor dem Haus war. Es gab keine Straßenlampen auf diesem Abschnitt und die ausladenden Kronen der Bäume schirmten das Licht ab, das von der Fassade des 717 zurückgeworfen wurde. Der Geruch nach Ingwer verdichtete sich, als Andrej seinen Körper gegen sie presste. Vergeblich versuchte sie, ihn wegzustoßen. Er legte seinen Mund auf ihren, zwang seine Zunge zwischen ihre Lippen. Sein Kuss war eine gewalttätige Attacke, die Furcht und Zorn gleichermaßen in ihr schürten.
    Eve begann zu kämpfen. Sie packte seinen Kopf und zerrte daran. Sie winkelte ein Bein an und trat ihm gegen das Schienbein, krümmte sich noch weiter und zog das Knie hoch.
    Er stieß den Atem aus und ließ von ihr ab. Für ein paar Sekunden starrten sie sich an. Eve sog gierig Luft ein, verschluckte sich und hustete. Hunger und Gier in Andrejs Augen verwandelten seine Pupillen in schwarze Seen. In diesem Moment wusste Eve, dass niemand sie retten würde. Sie war ihm ausgeliefert, und sie wusste es. Und er wusste es auch.
    Andrej lächelte. Seine Zähne schimmerten in leuchtendem Weiß. Eve folgte einem Instinkt, der so alt war wie die Menschheit selbst. Sie begann zu schreien.

    Ein Schrei zerschnitt das nächtliche Rauschen. Dünn und scharf stieß er in Alans Bewusstsein, wie eine glühende Nadel. Der Schock riss ihn auf die Beine.
    Er stürzte zum Fenster, ohne zu wissen, warum ihn dieser Schrei so alarmierte. Die Straßen dieser Stadt waren voller Schreie, vor allem nach Einbruch der Dunkelheit. Doch dieser hier klang anders. Er rührte an Bilder in Alans Innerem, an eine Erinnerung. Es war eine Frau, die geschrien hatte.
    Eine Vorahnung am Rand seiner Wahrnehmung verdichtete sich zu schrecklicher Schwärze. Alan wusste, woher der Schrei gekommen war.

    Andrej wischte Eves Widerstand beiseite wie die Fäuste eines kleinen Kindes. Sie kämpfte gegen den Würgreiz, als er ihr eine Hand auf den Mund presste. Er schleifte sie in den Korridor zwischen Hauswand und dem Drahtzaun, der den benachbarten Parkplatz absperrte. Dort stieß er sie zu Boden und kniete auf ihr. Seine Finger tasteten ihre Schenkel hinauf. Stoff riss, als er am Saum ihres Kleides zerrte. Es war so dunkel, dass Eve seine Züge kaum mehr erkennen konnte. Sie nahm nur das Glitzern seiner Augen wahr, und das unnatürlich weiße Gebiss, als er lächelte.
    „Immer noch Kopfschmerzen?“
    Mit einer Hand presste er ihre Handgelenke auf den Boden, mit der anderen hinderte er sie am Schreien. Sein Körper war schwer und zugleich geschmeidig wie eine

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