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Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Titel: Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Feuer. Mit einem Ruck riss er sie zu Boden, und dann war er über ihr.
    Eve schrie. Seine Faust raste auf sie zu. Aber er stoppte, bevor er ihr das Gesicht zerschmettern konnte.
    Alans Griff löste sich so abrupt, als habe er sich verbrannt. Sie starrte ihn an, wollte etwas sagen, konnte aber nicht. Ihre Zunge verweigerte den Dienst.
    Der Wahnsinn in Alans Blick war verschwunden. Aber sie hatte ihn gesehen, für einen Moment. Sie hatte sich das nicht eingebildet.
    „Tu das nie wieder“, knurrte Alan.
    „Was?“
    Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse, als er sich aufstützte und auf die Füße kam. Mit einer Hand hielt er sich am Tisch fest. „Tut mir leid, wegen dem Kleid.“ Er klang wieder wie er selbst. „Ich musste es wegwerfen.“
    Es war gespenstisch, wie abrupt seine Gemütszustände wechselten. In einem Moment gebärdete er sich wie ein tollwütiger Wolf, im nächsten war er so ruhig, als sei nichts geschehen. Das war nicht normal.
    Eve blickte an sich herunter. Verspätet wurde ihr bewusst, dass sie so gut wie nichts auf dem Leib trug.
    „Tut mir leid“, wiederholte Alan. „Ich kann dir ein T-Shirt geben.“
    „Ja.“
    Später saß Eve auf einem Stuhl am Fenster und versuchte, ihre widerstreitenden Empfindungen zu sortieren. Unter gesenkten Lidern beobachtete sie Alan, der an der Küchenzeile stand und Tee aufbrühte. Seine Bewegungen gewannen an Sicherheit. Sie wusste, dass er beim Kampf mit Andrej verletzt worden war. Sie hatte das Messer gesehen, das bis zum Heft in seiner Seite steckte. Obwohl er sich vor einer halben Stunde noch mit Krämpfen am Boden gewunden hatte, bewegte er sich nun, als sei er vollkommen genesen.
    Verstohlen tastete sie ihren Hals ab. Sie fand nichts. Nicht das kleinste Anzeichen einer Wunde. Etwas entging ihr hier.
    Sie bückte sich nach ihrer Handtasche. In der Innentasche steckte noch immer das Päckchen mit Andrejs Haarprobe. Daneben ertastete sie den Ring, den sie ihm aus einem Impuls heraus abgezogen hatte, und das iPhone des Russen. Sie hatte sich das alles nicht nur eingebildet.
    „Alan“, sagte sie, ihre Stimme bemüht ruhig, „was läuft hier?“
    Er blickte auf. „Was meinst du?“
    „Alles.“
    Eve machte eine Geste mit der Hand. Im Kopf rekapitulierte sie den Kampf zwischen Andrej und Alan. Das war unmenschlich gewesen, eine atemberaubende Eruption von Gewalt. Nicht, dass sie viel Erfahrung in Straßenkämpfen hatte. Aber die beiden Männer waren aufeinandergeprallt wie Titanen. So etwas hatte sie nie zuvor gesehen.
    „Was ist mit deiner Wunde?“, fragte sie. „Der Dolch in deiner Seite?“
    „Ein Kratzer.“
    „Und mein Hals?“
    Ein Hauch Ungeduld glitt über seine Züge. „Sah schlimmer aus, als es war.“
    „Du belügst mich.“ Eve tippte mit einer Fingerspitze gegen ihre Kehle. „Ich habe mir das nicht eingebildet. Es hat geblutet. Und jetzt ist da nicht mal ein kleiner Schnitt.“
    Alan stellte eine Teetasse neben ihr auf dem Fensterbrett ab. „Trink das“, sagte er. „Dann fühlst du dich besser.“
    Er hatte wirklich ein schönes Gesicht. Ihr Blick glitt über seinen Körper. Er hatte ein frisches Shirt angezogen, das jegliche Verletzung verbarg, aber sie hätte schwören können, dass die Stichwunde verschwunden war. Oder vielleicht verlor sie auch einfach den Verstand. Großartig.
    „Was hast du gemacht?“, fragte Eve.
    „Was meinst du?“
    „Der Kampf mit Andrej. Die Wunden, die auf magische Weise verschwunden sind.“
    Er schwieg.
    „Wie hast du mich überhaupt gefunden?“
    „Du hast geschrien.“
    „Verkauf mich nicht für dumm, okay? Ich weiß, was ich gesehen habe. Ich frage mich auch, was mit deinen anderen Verletzungen ist.“ Eve deutete auf eine dünne weiße Narbe an seinem Hals, die aussah, als wäre sie Jahre alt. „Du wärst beinahe verblutet, auf dieser verdammten Feuertreppe. Und jetzt ist die Wunde einfach verschwunden?“
    „Ich bin robust“, sagte Alan.
    Sie folgte seinem Blick, der sich irgendwo vor der Wand verlor, zwischen Keilrahmen und Papierrollen und Stapeln von Zeitungen. Auf der Staffelei stand eine Leinwand mit einer Kohleskizze, der Kopf einer Frau im Halbprofil. Sie kniff die Augen zusammen, für einen Moment irritiert, weil die Gesichtszüge so vertraut wirkten.
    „Das bin ja ich!“
    „Was?“ Er verstand nicht sofort.
    Eve stieg das Blut in die Wangen. „Das Porträt.“
    „Ach, das.“ Sie war nicht sicher im dämmrigen Licht, aber glaubte zu sehen, dass er ebenfalls errötete.

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