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Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Titel: Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Luft geholt sein, aber Alan wollte es zumindest überprüfen.
    In der Figueroa staute sich der Verkehr. Ein dichter Strom von Fußgängern bevölkerte die Gehwege. Eine Frau in Lumpen bahnte sich ihren Weg durchs Gedränge. Sie stieß einen Einkaufswagen vor sich her, hoch beladen mit Plastiksäcken. Ein anderer Bettler hockte an der Wand, den Kopf gesenkt, und döste im Dunkel.
    Jemand hupte. Alan blickte in den Rückspiegel, erfasste das Chaos aus Scheinwerfern und dicht gedrängten Fahrzeugen, die zwischen den Spuren wechselten. Unrast glühte in ihm wie Fieber. Er spürte wieder die Präsenz des anderen.
    Kain.
    Eine sachte Brandung war es, die an seinem Geist leckte. Salzwasser, schwarze Schlieren. Sirenen heulten auf, nicht weit entfernt. Alan nahm den Fuß von der Bremse, als vor ihm der Verkehr wieder anrollte, und tastete erneut nach dem Handy in seiner Hosentasche.

    Ein paar Passanten starrten ihn verwirrt an, als Kain vom Boden aufsprang und seinen Bettlerhabitus abschüttelte wie eine gebrauchte Haut. Seine Reflexe arbeiteten auf Hochtouren. Den anderen Schattenläufer hatte er nicht gleich bemerkt, weil er sich auf Eve konzentriert hatte.
    Er registrierte nur die aufflammende Präsenz, die eine Saite in ihm zum Schwingen brachte. Dann entdeckte er den Dodge mit den heruntergelassenen Scheiben, zwischen all den anderen Fahrzeugen, die sich vor der Ampel stauten. Er sah das Profil des Fahrers und Adrenalin schoss ihm ins Blut. Kain wusste plötzlich, dass sich hier eine Chance bot, eine zweite Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen durfte. Er hatte getrunken, war auf dem Zenit seiner Kraft. Der andere war keine leichte Beute, doch wann war der Zeitpunkt besser als jetzt, da seine Muskeln, seine Sinne summten vor Energie?
    Kain ließ den Wagen nicht aus den Augen. Die Autos krochen nur schleppend voran, aber wenn sie die Baustelle weiter vorn passiert hatten, würde sich das ändern. Er brauchte ein Fahrzeug. Ohne Rücksicht stieß er Passanten beiseite, während er den Bürgersteig hinunter rannte, dicht im Schatten der Fassaden.
    An der nächsten Kreuzung hatte er den Dodge bereits überholt. Er bog in eine Querstraße und hielt auf einen alten Toyota Camry zu, der am Bordstein geparkt war. Mit dem Ellbogen zertrümmerte er die Seitenscheibe, langte hinein und entriegelte die Tür. Er stieg ein und riss die Plastikverkleidung unter dem Lenkrad ab. Mit einer Hand tastete er nach den Kabeln, mit der anderen zog er die Tür zu. Eine Sekunde später lief der Motor. Euphorie breitete sich in ihm aus. Das Jagdfieber überwältigte ihn. Die Aura des anderen fühlte sich so vertraut an, dass es schmerzte. So vertraut, dass es nur eine einzige Erklärung gab. Verwandtes Blut.
    Der andere hatte das Gleiche gespürt, Kain war sich dessen sicher. Er hatte es in seinen Augen gelesen, gestern Nacht.
    In diesen Adern floss Mordechais Blut. Ein Bruder, schoss es durch seinen Geist. Halbbruder, korrigierte er dann. Kein Grund für Gefühlsduselei. Doch wenn dies ein Sohn von Mordechai war, konnte er Kain vielleicht geben, was niemand sonst ihm geben wollte. Zugang zu seinem Vater. Dieser Mann war ein Schlüssel.
    Kain gab Gas, schoss in eine aufklaffende Lücke. Ein paar Meter weiter fand er den Dodge wieder.
    Er zog die Desert Eagle unter der Jacke hervor und legte sie auf den Beifahrersitz. Als der Dodge in die Zweite Straße abbog und ihr Richtung Osten folgte, hinaus aus Downtown und tiefer in die Industriegebiete an der Peripherie der Stadt, ließ er sich etwas zurückfallen. Der Verkehr wurde dünner, je weiter sie sich vom Stadtzentrum entfernten. Kain wollte nicht riskieren, entdeckt zu werden, bevor er sich selbst zum Angriff entschied. Sie unterquerten eine graffitiverschmierte Brücke, dann leuchteten die Bremslichter des Dodge auf und er bog in eine Einfahrt.
    Kain blickte zur Ziegelfassade, als er daran vorbeirollte und zu der Skulptur eines überdimensionalen Pferdes aus Stahl und Lichterketten. Er unterquerte eine weitere Brücke und bog in den Parkplatz einer koreanischen Wäscherei. Rasch stieg er aus, schob die Pistole hinter seinen Gürtel und lief zu Fuß zurück.
    Sand knirschte unter seinen Sohlen, als er die Einfahrt betrat, in der der Dodge verschwunden war. Es war so dunkel, dass ein gewöhnlicher Mensch kaum die Hand vor Augen hätte sehen können.
    Kain passierte einen Korridor zwischen zwei Gebäuden und trat in einen weitläufigen Hof. Er brauchte ein paar Sekunden, um seine Augen auf

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