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Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Titel: Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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steif vor ihm stand wie ein Delinquent vor dem Scharfrichter. Es hätte ihn zum Lachen gereizt, wäre die Enttäuschung nicht so erdrückend gewesen. So schwer, dass sie ihn schier überwältigte und keinen Raum ließ für andere Emotionen.
    „Er hat den Auftrag zurückgegeben.“ Mordechai sprach wie zu sich selbst. „Warum?“
    „Ich weiß es nicht, Sir.“ Naveen musterte nun den Boden. „Der Broker wollte es nicht sagen.“
    „Also hat die Frau noch immer den Ring.“ Mordechai stand auf. Er presste die Fingernägel in seine Handflächen. „Sie ist am Leben und hat den Ring.“
    „Möchten Sie, dass ich mit Ravin spreche?“
    „Ravin“, sagte er. „Hol mir Ravin.“

18
    A lan schleppte sich durch das Gebüsch am Fuß des Hügels. In der Schulter hatte er jedes Gefühl verloren. Taubheit breitete sich von der Wunde in seinem Körper aus, lähmte ihm die Seite und einen Teil der Brust. Immer wieder brach das linke Bein unter ihm weg.
    Sein Fuß verfing sich in Dornengestrüpp, er stürzte und riss sich die Handflächen auf. Keuchend zog er sich hoch. Er musste von hier verschwinden. Die Cops würden mehr Unterstützung anfordern. Einen Helikopter vielleicht. Er brauchte einen Ort, an dem er sich verkriechen konnte, die Transformation überstehen. Sie zerrte bereits an ihm, ließ das Blut in seinen Schläfen pochen.
    Ein Zaun ragte vor ihm auf, dahinter ein unbeleuchteter Sandplatz, und eine Industriehalle, tiefer im Dunkel. Alan benutzte seinen Dolch, um ein Loch in den Draht zu schneiden. Der Geruch von Kains Blut stieg ihm in die Nase, die Klinge troff davon.
    Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß aus den Augen. Seine Sinne spielten sofort verrückt, als er mehr von dem metallischen Aroma einatmete. Erregung flammte in ihm auf, eine unmenschliche Gier. Was war das, im Blut dieses Mannes? Er widerstand dem Bedürfnis, davon zu kosten.
    Grob drängte er sich durch die Lücke im Zaun, riss seine Jacke los, wo sie am Draht hängen blieb. Weit entfernt blinkten die Lichter eines Zuges. Vor einer Blechtür stoppte er. Ein primitives Vorhängeschloss sicherte den Riegel. Alan zögerte. Wenn sie ihn verfolgten, würden sie das Loch im Zaun finden. Er war nicht einmal sicher, ob er nicht eine Blutspur hierher gezogen hatte.
    Unschlüssig blickte er sich um. Die Straße oben auf der Böschung war von hier nicht zu sehen, ebenso wenig wie die Lichter der Streifenwagen. Die Nacht wirkte friedlich und still. Und wie einladend sich die Dunkelheit hinter den Fenstern öffnete.
    Sein Magen rebellierte. Er stützte sich an der Wand ab und würgte heftig. Die Transformation ließ sich nicht mehr lange zurückhalten. Knirschend brach der Bügel aus seiner Halterung, als er die blutige Klinge ins Schloss rammte.
    Dann zog er die Tür auf und glitt ins Innere. Er verharrte einen Moment, um seine Augen auf die Finsternis einzustellen. Vor ihm schälten sich Strukturen aus dem Dunkel. Regale. Er war in ein Lagerhaus eingedrungen. Ein durchdringender Geruch nach Chemikalien stieg ihm in die Nase.
    Er taumelte einen Gang zwischen zwei Regalreihen hinunter. Die erste Welle stieg in ihm hoch. Dieses Gefühl, als würde das Blut in seinen Adern zu kochen beginnen.
    Er biss die Zähne so fest aufeinander, dass sein Kiefer schmerzte. Ein Lichtstrahl wischte durch die Halle und erlosch wieder. Alan warf einen Blick zur Decke und suchte nach Oberlichtern, doch der Moment war vorüber. Das Licht konnte nur bedeuten, dass der Hubschrauber bereits da war. Sie überflogen das Gebiet mit Suchscheinwerfern.
    Schmerz überrollte ihn wie eine Schockwelle. Er ließ den Dolch fallen und brach in die Knie. Erneut wischte Licht durch die Halle, und dieses Mal sah er die Reihe schmaler Fenster wie Schießscharten. Dann wurde ihm schwarz vor Augen. Kaum spürte er noch, wie er auf dem Boden aufschlug.

    Zuerst nahm Kain den scharfen Geruch von Desinfektionsmittel wahr. Er brauchte einige Sekunden, bis seine Sicht sich klärte. Dann erkannte er, dass er in einem Ambulanzwagen lag. Gurte spannten sich über Brust und Beine und fixierten ihn auf einer Liege.
    „Oh mein Gott“, rief eine Frau, „er ist wach.“ Sie beugte sich in sein Gesichtsfeld. Sie war jung und hatte kinnlanges blondes Haar. Ihre Stimme klang wie durch eine Glasscheibe, verzerrt und voller Echos. „Bewegen Sie sich bitte nicht. Sie haben viel Blut verloren.“
    Kain wollte etwas sagen, konnte aber nicht. Alles, was er hervorbrachte, blieb tonloses Krächzen.

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