Engelsfluch
kümmerten.
Ich hatte tausend Fragen an Riccardo, aber ich brachte kein Wort heraus. Es war eine gespenstische Szenerie. Während hier um das Leben Marias gerungen wurde, saßen nur ein kleines Stück entfernt die Männer des Majors und ließen sich unter lautem Grölen ihr Abendessen schmecken.
Ich achtete nicht auf die Zeit, die verstrich. Irgendwann trat der Arzt vor das Zelt, und er sah aus wie ein Geist: erschöpft und mit leerem Blick, das Haar hing ihm in wirren Strähnen in die Stirn.
Als er auf unsere drängenden Fragen nicht reagierte, packte Riccardo ihn bei den Schultern und schüttelte ihn heftig. »Was ist mit Maria? Wie geht es ihr?«
»Die Kugel ist draußen«, sagte der Arzt mit fast tonloser Stimme, in der Unglauben über die eigene Leistung mitschwang. »Es ist mir tatsächlich gelungen.«
»Lebt Maria?«
»Ja, sie lebt.« Schon wollten Riccardo und ich aufatmen, da fügte der Arzt hinzu: »Aber ich weiß nicht, wie lange noch.«
Wieder schüttelte Riccardo ihn. »Was soll das heißen, Dottore?«
Der Arzt blickte zu dem Zelt, aus dem er gerade getreten war.
»Sie ist sehr schwach, und sie hat viel Blut verloren. Ich fürchte, es ist nur eine Frage von Stunden, bis das Leben sie verlässt.«
»Dann helfen Sie ihr!«, verlangte Riccardo. »Was stehen Sie hier so untätig herum?«
»Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht. Sie können mich bedrohen, mich foltern und mich töten, Signore, aber mehr kann ich für die Frau nicht tun.«
Ich kämpfte gegen den Kloß an, der meinen Hals verstopfen wollte. »Ist Maria ansprechbar?«
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Sie ist noch betäubt von der Operation, und sie ist so schwach, dass sie vielleicht nicht mehr erwachen wird.«
Zögernd trat ich mit Riccardo an das Zelt, und wir spähten ins Innere. Maria lag dort im Schein eines Öllichts ganz friedlich auf ihrem Lager, den Kopf zur Seite gelegt. Bei dem Anblick krampfte sich mein Herz zusammen. Die Hebamme verließ das Zelt, nickte kurz dem Arzt zu und verschwand in der Dunkelheit. Ich trat zu dem Arzt und legte eine Hand auf seine Schulter. »Sie haben Großartiges geleistet, Dottore, ich danke Ihnen dafür. Und verzeihen Sie unser ungehöriges Benehmen!
Es ist nur …«
Meine Stimme versagte mir, aber die Tränen in meinen Augen waren dem Arzt Erklärung genug. Er schüttelte meine Hand und ging zum Lagerfeuer, um sich zu stärken.
Riccardo hockte sich vor dem Zelt mit überkreuzten Beinen auf den Boden und brütete dumpf vor sich hin. Ich gesellte mich zu ihm und hörte, wie er leise sagte: »… ist es meine Strafe. Ich habe es wohl nicht anders verdient, Allmächtiger. Aber warum rächst du dich an Maria?«
»Ihre Strafe?«, fragte ich. »Wofür? Vielleicht für den Verrat, den Sie geübt haben und dem Hauptmann Lenoir mit all seinen Männern zum Opfer gefallen ist?« Während ich das sagte, blickte ich nach Norden, wo irgendwo außerhalb des Lagers die große Grube lag, in der von Rottecks Männer die Toten verscharrt hatten. »Ich habe mehr als das auf mein Gewissen geladen«, sagte Riccardo. »Und obwohl ich mein Leben geben würde, um Maria zu retten, kann ich nicht behaupten, dass es mir um die Franzosen Leid täte. Hat es ihnen etwas ausgemacht, meine Männer niederzuschießen? Wenn die Armeen Kaiser Napoleons und seiner Feinde auf den Schlachtfeldern aufeinander treffen, sterben die Menschen zu Tausenden und Zehntausenden, und niemand erhebt deshalb einen Vorwurf gegen die erlauchten Majestäten.«
»Vielleicht ihr Gewissen«, meinte ich. »Aber hier geht es nicht um Kaiser Napoleon und Kaiser Franz, sondern um Sie, Riccardo. Wieso dieser Verrat?«
Ohne mich anzusehen, antwortete er: »Alles gehört zum großen Plan, mehr oder weniger. Ich muss zugeben, dass ich gezwungen war, zu improvisieren, als Lenoirs Soldaten mein Lager überfielen und meine Männer niederschossen.«
Erst als ich eine Weile über Riccardos Worte nachgedacht hatte, kam mir das Ungeheuerliche seiner Rede zu Bewusstsein.
»Wollen Sie etwa andeuten, alles war von vornherein geplant, auch der Überfall auf meine Kutsche?«
Jetzt erst sah er mich an, und ich bemerkte sein Erstaunen.
»Ja, ist Ihnen das noch nicht klar gewesen, Signor Schreiber?
Ich habe Ihre Kutsche überfallen, weil ich den Auftrag dazu hatte.«
»Wer hat Sie dazu beauftragt?«
»Wer wohl? In wessen Diensten stehen Major von Rotteck und seine Soldaten?«
»Die Österreicher?«, fragte ich zögernd. Er nickte. »Fürstin Elisa
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