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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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mir versagte die Stimme.
    »Tot«, sagte er nur leise. »Tot.«
    Der Major, auch er in Zivil, trat zu uns. Er war ein großer, kräftiger Mann, auf dessen linker Wange ein feuerroter Schmiss prangte. »Das mit dem Mädchen war ein Unfall«, sagte er auf Italienisch. »Eine verirrte Kugel muss sie getroffen haben. Es tut mir sehr Leid für Sie, Signor Baldanello.«
    Ungläubig sah ich erst den Offizier und dann Riccardo an.
    Erst allmählich begann ich darüber nachzudenken, wieso Riccardo ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt zurückgekehrt war.
    Hinzu gesellten sich die Fragen, warum die Angreifer ihn unbehelligt ließen und weshalb der Offizier ihn auch noch mit Respekt behandelte, überhaupt nicht wie einen Gefangenen. Die Trauer um Maria saß tief in mir, aber es blieb noch genug Raum für die aufkeimende Empörung.
    »Du hast diese Männer hergeführt, Riccardo!«
    »Ja«, antwortete er leise. »Das war mein Auftrag.«
    »Wer hat dich damit beauftragt?«
    »Wer schon? Die Österreicher natürlich.«
    Der Major nahm vor mir Haltung an, was angesichts seines Räuberzivils mehr grotesk als schneidig wirkte, und sagte auf Deutsch: »Major von Rotteck, von den Grenadieren Seiner Majestät, des Kaisers.«
    Ich erwiderte nichts. Angesichts der Toten und der leblosen Maria in Riccardos Armen fehlte mir jeder Sinn für Höflichkeitsfloskeln. Nur flüchtig streifte mein Blick den Major, dann sah ich wieder Maria an und wollte nicht glauben, dass alles Leben aus ihr gewichen war. Fast schien mir, als bewegten sich ihre Nasenflügel ganz leicht und als flatterten ihre Augenlider. Ich wischte mit der flachen Hand über meine Augen, die mir einen so schmerzhaften Streich spielten. Aber wieder sah ich das zaghafte Beben der Nasenflügel und das kaum merkliche Zucken der Lider. Schnell streckte ich meine Hand aus und hielt sie dicht über Marias Gesicht. Ich spürte ihren Atem, der nur ganz leicht war, aber doch unleugbar vorhanden.
    »Sie lebt!«, rief ich so laut, dass man es wohl bis nach Borgo San Pietro hören konnte. »Maria lebt!«
    Maria war am Leben, aber dieses hing an einem seidenen Faden. Die Kugel saß tief in ihrer Brust, nahe dem Herzen, und Major von Rottecks Trupp verfügte über keinen Arzt. Riccardo lief in den Ort, um Bürgermeister Cavara um Rat zu fragen, und erfuhr, dass es in dem Städtchen Pescia am Fuße der Berge einen Arzt geben sollte. Riccardo nahm das Pferd des toten Hauptmanns Lenoir und brach nach Pescia auf, während ich mich um Maria kümmerte. Wenn man es kümmern nennen konnte. Sie war nicht bei Bewusstsein, atmete nur flach und schlief einen Schlaf, aus dem wohl nur allzu leicht ein Schlaf ohne Erwachen werden konnte. Ich versuchte mir einzureden, dass es so besser für Maria sei, leichter. Sie verspürte keine Schmerzen, und wenn sie sterben musste, konnte der Tod kaum angenehmer sein. Aber für mich war das kein Trost. Ich wollte nicht, dass Maria starb.
    Es dämmerte schon, als Riccardo mit dem Arzt zurückkehrte, der sich sofort um Maria kümmerte. Nach zehn Minuten trat er mit bleichem Antlitz aus dem Zelt, in dem Maria lag, und sagte:
    »Da ist nichts zu machen. Die Kugel sitzt zu nah am Herzen, um sie herauszuholen. Würde ich es wagen, dann würde die Frau es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überleben.«
    »Und wenn Sie es nicht tun, Dottore?«, fragte Riccardo.
    »Wird sie sterben«, antwortete der Arzt leise.
    »Dann operieren Sie Maria, sofort!«
    Der Arzt schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Ich kann die Verantwortung nicht auf mich nehmen.«
    Riccardo blickte ihm tief in die Augen. »Wenn Sie Maria nicht operieren, Dottore, werden Sie nie mehr zu Ihrer Familie nach Pescia heimkehren.«
    »Sie meinen …«
    »Ich meine, dass ich Sie töten werde, hier und jetzt!«
    Der Arzt schwieg eine kleine Ewigkeit, während Schweiß auf seine Stirn trat, obwohl die Abendluft kühler wurde. »Gut, ich werde es tun«, sagte er schließlich. »Aber ich lehne jede Verantwortung ab. Ich brauche heißes Wasser und saubere Tücher. Im Dorf gibt es eine Frau, die sich mit medizinischen Dingen ein wenig auskennt. Sie hilft dort bei den Geburten. Jetzt muss sie mir helfen. Ihr Name ist Margherita Storaro.«
    Wir ließen die Frau holen, und sie kam erstaunlicherweise sogar freiwillig mit. Vielleicht lag es an dem Namen des Arztes, der für die Menschen von Borgo San Pietro eine anerkannte Autorität war. Riccardo und ich warteten draußen, während der Arzt und die Hebamme sich um Maria

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