Engelsfluch
gebildete Leute wie Kaiser Franz und Elisa Bonaparte, möglicherweise sogar ihr Bruder Napoleon, daran glaubten.
Aber vielleicht griffen die Herrschenden ganz einfach nach jeder Möglichkeit, wie wenig erfolgversprechend sie auch sein mochte, das Ringen um die Macht über Europa zu gewinnen.
Laute Stimmen aus der Richtung des Lagerfeuers rissen mich aus meinen Gedanken. Dort musste etwas vorgefallen sein.
Zusammen mit Riccardo ging ich zu dem Feuer, um das sich die Österreicher geschart hatten. Mitten unter ihnen stand Giovanni Cavara und redete unaufhörlich auf Major von Rotteck ein. Der Arzt stand neben dem Bürgermeister von Borgo San Pietro und versuchte zu übersetzen, kam aber kaum nach. Als der Major uns erblickte, hellten sich seine skeptischen Züge auf, und er bedeutete uns, schnell zu ihm zu kommen. »Vielleicht finden Sie heraus, was dieser Bauer von uns will, Signor Baldanello. Er redet wie ein Wasserfall, aber ich verstehe nicht ein Wort.«
Cavara sah Baldanello und mich an. »Ich muss mit Ihnen reden, allein!«
»Das ist der Bürgermeister des Dorfes«, erklärte Riccardo dem Major. »Er möchte mit mir und Signor Schreiber unter sechs Augen sprechen.«
»Soll er, soll er«, sagte der Österreicher. »Nehmen Sie ihn nur mit und sprechen Sie in Ruhe mit ihm!«
Wir zogen uns zwischen die Zelte zurück, und Cavara sagte:
»Ich weiß von Margherita Storaro, was hier vorgefallen ist. Wie geht es der Verletzten?«
»Noch lebt Maria«, antwortete ich, »aber der Arzt gibt ihr nur noch wenige Stunden.«
»So hat es Margherita mir auch erzählt. Ich bin gekommen, um Ihnen einen Vorschlag zu machen.«
»Ausgerechnet jetzt, wo es Maria so schlecht geht?«, fuhr Riccardo den Bürgermeister an.
»Es geht ja um Maria. Zusammen mit ein paar Freunden werde ich ihr helfen, wenn Sie versprechen, dass Sie hier nicht weitergraben und Borgo San Pietro schnellstens verlassen.«
»Maria helfen?«, fragte Riccardo. »Wie wollen Sie das tun?
Selbst der Arzt kann nichts mehr für sie tun.«
»Es gibt gewisse Kräfte, über die verfügt selbst ein studierter Arzt nicht«, sagte Cavara. »Wir werden Maria gesund machen, wenn Sie mir das Versprechen geben, um das ich Sie gebeten habe.« Der Bürgermeister sagte das in einem selbstverständlichen Tonfall, als ginge es um irgendeinen Tauschhandel auf dem Markt. Riccardo stürzte sich ohne Vorwarnung auf Cavara und riss ihn zu Boden, wo er mit den Fäusten auf ihn einschlug. »Elender Hund! Maria liegt im Sterben, und du verspottest sie auch noch!«
Ich sprang dazwischen, aber es gelang mir nur mit Mühe, Riccardo zu beruhigen und von Cavara wegzuziehen.
»Reißen Sie sich zusammen, Riccardo! Cavara ist nicht der Mann, andere zu verspotten. Ich glaube, er meint es ehrlich.«
Der Bürgermeister erhob sich schwerfällig und fragte:
»Warum lassen Sie es nicht darauf ankommen? Was haben Sie zu verlieren?«
Keine halbe Stunde nach dem Vorfall betrat Cavara gemeinsam mit sechs weiteren Dorfbewohnern, Männern wie Frauen, das Zelt, in dem die noch immer schlafende Maria lag.
Als Letzte verschwand Margherita Storaro im Eingang. Aus einiger Entfernung beobachtete Major von Rotteck das Geschehen mit gekräuselter Stirn. Riccardo hatte ihm nur die Hälfte erzählt. Er hatte dem Major gesagt, dass die Menschen Maria helfen wollten, ohne ihm zu verraten, was sie dafür verlangten. In Marias Zelt blieb es seltsam ruhig, und Riccardo krampfte nervös die Hände zusammen. »Was, bei allen Heiligen, geht da vor sich?«
Der Arzt, der das gehört hatte, kam zwei Schritte näher und sagte: »Haben Sie Vertrauen! Vielleicht sind die Menschen aus Borgo San Pietro die Einzigen, die der Frau jetzt noch helfen können.«
»Das sagen Sie, der Maria für todgeweiht gehalten hat?«, wunderte ich mich.
»Ich kann es nicht genau erklären, aber die Menschen in Borgo San Pietro verfügen über besondere Gaben. Ich war einmal bei einer Geburt in dem Ort zugegen. Man hatte mich geholt, weil das Kind in einer ungünstigen Lage war und den Mutterleib nicht verlassen wollte. Ich konnte das Kind herausholen, aber die Mutter starb dabei vor Erschöpfung. Ich verließ den Raum und wunderte mich, dass sehr bald mehrere Menschen in das Totenzimmer gingen, so ähnlich wie jetzt Signor Cavara mit den anderen dort im Zelt verschwand. Cavara war damals auch dabei und natürlich Signora Storaro. Um es kurz zu machen, nach einer Viertelstunde kamen die Leute wieder heraus und sagten, der Mutter gehe
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