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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Herr Major, ich verstehe mich nämlich selbst nicht. Wie konnte ich mit meiner Erfahrung nur auf die römischen Imitate hereinfallen? Vielleicht liegt es an der hohen Kunstfertigkeit, mit der sie hergestellt wurden.«
    »Sie meinen, diese Vasen waren nicht etruskisch?«, erkundigte sich der Österreicher.
    »Sie haben es erfasst, Herr Major. Es waren keine etruskischen Vasen, und das Ganze hier ist auch keine etruskische Stadt, sondern eine römische. Die Römer sind immer Meister darin gewesen, andere Kulturen zu vereinnahmen und nachzuahmen. Unsere ganze Mühe war vergebens.«
    Von Rotteck wirkte ernsthaft erschüttert. »Aber … wie konnte das nur passieren?«

    »Wahrscheinlich gibt es überhaupt kein etruskisches Heiligtum hier in den Bergen«, sagte ich und hoffte inständig, dass ich überzeugend wirkte. »Die ganzen Legenden bauen auf einer Täuschung auf, nämlich auf dieser römischen Siedlung.
    Was auch immer Sie hier zu finden hofften, Herr Major, es war niemals hier.«
    »Aber wie soll ich das dem Kaiser erklären?« Der Major seufzte schwer und blickte mich Hilfe suchend an. »Nein, Sie werden es ihm selbst erklären, Herr Schreiber!«
    Ich tat, als sei ich von dieser Aussicht nicht besonders erbaut.
    In Wahrheit war ich aber froh, zeigte mir von Rottecks Äußerung doch, dass er auf meine Scharlatanerie hereingefallen war.
    Der Major hielt mit seinen Offizieren und Unteroffizieren eine kurze Lagebesprechung ab und beschloss anschließend, die Zelte hier noch an diesem Tag abzubrechen. Angesichts des Kriegszustands mit Frankreich erschien es ihm nicht angebracht, länger als notwendig im Feindesland zu verweilen.
    Riccardo wollte mit Maria in Borgo San Pietro bleiben, bis er ihr besser ging. Deshalb suchte er Giovanni Cavara auf, und kurze Zeit später kamen beide mit einem Eselskarren, auf den wir Maria vorsichtig betteten. Der Bürgermeister hatte sich angeboten, die beiden einstweilen in seinem Haus aufzunehmen.
    Jetzt, da wir Fremden im Aufbruch begriffen waren, schien die Zurückhaltung der Dorfbewohner zu schwinden.
    Als Maria auf dem Karren lag, winkte sie mich zu sich. Sie legte eine Hand auf meine Wange und sagte: »Es tut mir so Leid. Ich wollte es Ihnen die ganze Zeit schon sagen, aber ich wusste nicht, wie, ohne Riccardo zu verraten. Ich wünsche mir, ich hätte Sie nicht verletzen müssen.«
    »Nicht Sie haben mich verletzt, Maria. Das war ich selbst in meiner Vernarrtheit.«

    Was soll ich noch erzählen? Ich habe weder Maria noch Riccardo jemals wiedergesehen, und ich kam auch nicht wieder nach Borgo San Pietro. In meine Heimat kehrte ich erst nach drei Jahren zurück. Schon der Weg nach Österreich gestaltete sich überaus schwierig und war voller Gefahren. Als wir dem Ziel endlich nahe waren, hörten wir von Napoleons großem Sieg bei Austerlitz über die vereinigten Armeen der Österreicher und der Russen. Der Krieg stand kurz vor seinem Ende, und der Sieger hieß einmal mehr Napoleon Bonaparte. Angesichts dessen hatte Kaiser Franz wohl andere Sorgen, als sich mit mir zu befassen. Jedenfalls kam ich nie in die Verlegenheit, ihm wegen der Etruskerstadt etwas vorflunkern zu müssen. Übrigens sah ich auch Lucca und Elisa niemals wieder, was ich nicht übermäßig bedauerte. Fünf Jahre nach den hier geschilderten Ereignissen erhielt ich einen Brief aus Italien. Er stammte von Riccardo. Verwundert nahm ich zur Kenntnis, dass er mit Maria in Borgo San Pietro geblieben war. Sie hatten bereits drei Kinder, und den ältesten Sohn hatten sie mir zu Ehren Fabio getauft. Ich kann nicht verhehlen, dass ich darüber gerührt war.
    Ein regelmäßiger Briefwechsel zwischen Riccardo und mir entspann sich, und so erfuhr ich, dass die Leute von Borgo San Pietro die Ausgrabungsstelle sorgfältig wieder zugeschüttet hatten. Welches Geheimnis diese alte etruskische Siedlung aber beherbergte, darüber ließ Riccardo sich in seinen Briefen ebenso wenig aus wie darüber, was in der Nacht geschehen war, als die Dorfbewohner Maria vor dem Tod erretteten.
    Vielleicht mag der eine oder andere Leser glauben, meine wissenschaftliche Neugier hätte mich zurück nach Norditalien treiben müssen. Ich aber hatte das unbedingte Gefühl, dass die Menschen von Borgo San Pietro ihr Geheimnis aus gutem Grund bewahrten.

13
    Toskana, Montag, 28. September
    Das letzte Kapitel von Fabius Lorenz Schreibers Reisetagebuch lieferte Enrico eine Menge Stoff zum Nachdenken, aber keine definitiven Antworten. Er las den Schluss des

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