Engelsfluch
hatte, die ihn aus ihren grünen Augen wütend anfunkelte.
»Sie?«, entfuhr es ihm voller Erstaunen und in Deutsch.
»Was dagegen?«, fragte Dr. Vanessa Falk.
»In der Tat, ich mag es nicht, wenn man mir nachschnüffelt.«
»Ich auch nicht, Herr Schreiber.«
»Falls Sie auf unsere Begegnung in Marino anspielen: Ich habe nicht Sie verfolgt, sondern war Alexander Rosin auf den Fersen.«
»Für mich hat das keinen großen Unterschied gemacht.
Schließlich sind Sie es gewesen, der mir in den Rücken gesprungen ist wie ein wild gewordener Panther. Mir tut jetzt noch der Ellbogen weh, auf den ich gefallen bin.« Demonstrativ rieb sie sich mit der linken Hand den rechten Arm. »Es tut mir Leid, wenn ich Ihnen wehgetan habe, Frau Dr. Falk. Aber was hätte ich tun sollen, nachdem ich Sie für den flüchtenden Mörder hielt?«
Für fünf oder zehn Sekunden kreuzten sich ihre Blicke zu einem stillen Duell, dann lachten beide wie auf Kommando los.
So schrecklich für Enrico das Erlebnis in Marino auch gewesen war, im Nachhinein erschien es ihm so skurril komisch wie ein Film von Jacques Tati.
»Vier Menschen auf der Jagd nach oder auf der Flucht vor dem Mörder«, brach es aus ihm heraus, während er noch immer lachte. »Ich glaube, die Einzigen, die in der Kirche absolut ungestört blieben, waren die Mörder selbst.«
Vanessa Falk nickte. »Wahrscheinlich hatten sie Mühe, sich nicht durch lautes Lachen zu verraten, weil sie sich über unser tölpelhaftes Benehmen amüsiert haben.«
Vanessa wollte noch etwas sagen, aber in diesem Augenblick spaltete ein grellweißer Blitz den Himmel, und wenige Sekunden später folgte nicht nur der Donner, sondern es setzte auch ein kräftiger Regen ein, dessen schwere Tropfen auf das Blech der Fahrzeuge trommelten.
»Wir sollten woanders weiterreden«, schlug Enrico vor. »Da Sie mir gefolgt sind, kennen Sie vermutlich mein Hotel.« Als sie nickte, fügte er hinzu: »Dann nichts wie weg hier!« Als er sich hinter das Lenkrad seines Fiats klemmte, war er schon halb durchnässt. An eine Suche nach Angelo war bei diesem Wetter nicht mehr zu denken. Außerdem hatte er das Gefühl, dass auch ein Gespräch mit Dr. Falk lohnenswert sein konnte. Ihr Auftauchen hier in den Bergen ließ nur eine Schlussfolgerung zu: Sie wusste mehr, als sie bislang gesagt hatte.
Nachdem Enrico sich in seinem Zimmer trockene Sachen angezogen hatte, traf er Vanessa Falk in der kleinen Hotelbar, gegen deren Fenster der Regen mit unverminderter Wucht prasselte. Obwohl es erst gegen halb fünf am Nachmittag war, brannte Licht in der Bar. Draußen war es so finster wie nach Einbruch der Dunkelheit, wenn nicht gerade ein Blitz aufleuchtete. Dr. Falk hatte sich einen Latte Macchiato bestellt und starrte hinaus in den Regen, als könne sie dort etwas sehen, das anderen verborgen war. Enrico orderte einen Cappuccino und dazu ein Stück Sandkuchen, weil er seit einem Brötchen am Flughafen nichts mehr zu sich genommen hatte.
Dann setzte er sich zu der rothaarigen Frau und sagte: »Kein Wetter für einen Ausflug in die Berge, Dr. Falk.«
»Vanessa«, sagte sie.
»Wie?«
»Sagen Sie einfach Vanessa zu mir, sonst komme ich mir vor wie hundertachtundfünfzig Jahre alt.«
»Gut, Vanessa, wenn Sie mich Enrico nennen.«
»Klar doch. Männer, die mich von hinten anspringen, nenne ich grundsätzlich beim Vornamen.«
Enrico lächelte. »Kommt das häufiger vor?«
»Dass ich Männer beim Vornamen nenne?«
»Dass Sie in so aufregende Situationen geraten.«
Sie schüttelte den Kopf. »Als Religionswissenschaftlerin gerät man nicht jeden Tag in Lebensgefahr, weder in eine echte noch in eine eingebildete. Das größte Risiko ist wahrscheinlich, von einem Bücherregal erschlagen zu werden oder sich am Fotokopierer die Hand einzuklemmen.«
»Ich würde nicht nur von einer eingebildeten Lebensgefahr sprechen, was Marino betrifft. Wenn die Mörder zu dem Zeitpunkt noch in der Kirche waren, wovon man durchaus ausgehen kann, haben Sie sich in echter Gefahr befunden.
Insofern können Sie es als Glück auffassen, dass ich Sie angesprungen habe und nicht ein anderer.«
»Ich werde Ihnen zu Ehren bei Gelegenheit einen Freudentanz aufführen«, sagte sie maliziös. »Aber eins beruhigt mich doch. Wie ich Ihren Worten entnehme, halten Sie mich nicht für die Mörderin oder eine Komplizin der Täter.«
»Sollte ich das?«
»Fragen Sie diesen Commissario aus Rom, Donati!«
»Apropos. Hat er Ihnen erlaubt, Rom zu
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