Engelsfluch
Reiseberichts abends in seinem römischen Hotel, und während des Rückflugs nach Pisa und der Fahrt nach Pescia war er fast unentwegt damit beschäftigt, die Abenteuer des Archäologen in Verbindung zu seinen eigenen Erlebnissen zu setzen. Dass es eine solche Verbindung gab, war offensichtlich.
Die Heilung Marias, von der Fabius Lorenz Schreiber berichtete, schien auf dieselbe unbegreifliche Weise erfolgt zu sein wie die Elenas. Was zu der Folgerung führte, dass die heilenden Kräfte in Borgo San Pietro Tradition hatten. Der Einsiedler Angelo und auch Enrico selbst waren nur späte Vertreter einer Heilkunst, deren Funktionsweise für Enrico ebenso im Dunkeln lag wie ihr Ursprung. Oder sollte er nach dem Gespräch mit Papst Custos tatsächlich glauben, dass alle Menschen in Borgo San Pietro – oder zumindest alle, die über die heilende Kraft verfügten – Nachkommen von Jesus Christus waren? Das schien ihm ein sehr kühner Gedanke zu sein, aber andererseits war die unbestreitbare Existenz der heilenden Kräfte ein äußerst ungewöhnliches Faktum, das bestimmt nicht einfach zu erklären war.
Ein Begriff ging ihm nicht aus dem Kopf. An einer Stelle sprach Fabius Lorenz Schreiber von dem Hort der Engel, und der Bürgermeister Cavara – offenbar ein Vorfahr des ermordeten Benedetto Cavara – sagte zu ihm: Lassen Sie die Engel in Frieden ruhen, dann werden die Engel auch die Menschen in Frieden lassen!
Wieder musste er an sein gestriges Gespräch mit dem Papst denken, und die Erwähnung der Engel gewann eine besondere Bedeutung. Hatten sie etwas mit jener alten Macht zu tun, die angeblich zum Untergang der Etruskerstadt geführt hatte? War die heilende Kraft ein Teil jener Macht, oder bestand sie unabhängig davon? Diese und weitere Fragen schwirrten in seinem Kopf herum, ohne dass er eine befriedigende Antwort fand. Die hoffte er nun in den Bergen zu finden, in Borgo San Pietro.
Der Weg zum Hotel »San Lorenzo« führte durch Pescia hindurch. Aber als vor Enrico der Fluss und die Brücke zum Hospital auftauchten, bog er nach rechts ab und überquerte den Fluss. Der kleine Parkplatz vor dem Krankenhaus war jetzt, am frühen Nachmittag, vollständig besetzt. Er folgte der Straße, die links am Hospital vorbei zu größeren Parkplätzen am Ortsrand führte, wo reichlich Platz für seinen kleinen Fiat-Mietwagen vorhanden war. Von hier aus waren es keine fünf Gehminuten zum Krankenhaus, wo Elena ihn mit einem Lächeln empfing.
Er freute sich, dass es ihr offenbar gut ging, und sein Schmerz darüber, dass sie seine Gefühle nicht erwiderte, hielt sich bei ihrer Begegnung zu seiner Verwunderung in Grenzen.
Vielleicht war es gut gewesen, dass er Alexander Rosin getroffen hatte. Jetzt war der Schweizer für Enrico nicht länger ein Phantom, sondern ein Mann aus Fleisch und Blut, mit dem er sich als Rivalen besser abfinden konnte. Er sprach mit Elena lange über den Mord in Marino. Sie hatte von Alexander bereits am Telefon erfahren, was sich ereignet hatte, zeigte sich aber an Enricos Sicht der Dinge sehr interessiert. Während er noch erzählte, hieb sie plötzlich mit ihrer geballten Rechten auf die Matratze, was ihn angesichts ihrer eben noch blendenden Laune verwunderte.
»Was ist mit dir? Habe ich dich verärgert?«
»Ich ärgere mich nicht über dich, sondern über die Ärzte.«
»Warum?«
»Weil ich hier liegen muss, obwohl ich kerngesund bin. Mir geht es schon wieder blendend, wirklich!«
»Da ist aber noch ein Verband um deinen Kopf.«
»Ach, das ist bloß eine blöde Beule. Die merke ich kaum noch. Ich fühle mich wieder voll einsatzfähig, aber ich muss hier liegen und meine Zeit verschwenden.«
»Die Ärzte werden schon ihre Gründe haben«, gab Enrico zu bedenken.
»Pah, was wissen die schon! Die trauen dem Ganzen nur deshalb nicht, weil nicht sie mich geheilt haben, sondern Angelo und du.«
»Es war sicher eine erfolgreiche Heilung, aber auch eine sehr mysteriöse. Ich will den Teufel wirklich nicht an die Wand malen, aber vielleicht gibt es Nebenwirkungen oder Rückschläge. Die Ärzte handeln nur verantwortungsvoll, wenn sie dich hier noch unter Beobachtung halten.«
»Du hörst dich jetzt an wie diese Quacksalber!«
Enrico lachte. »Ich bin aber nicht von ihnen bestochen worden, um dich zu beruhigen. Ich kann dich ja verstehen. Aber je mehr du dich schonst, desto eher bist du wieder auf den Beinen.«
»Dabei würde ich liebend gern Angelo aufsuchen und mehr über seine geheimnisvollen
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