Engelsfuerst
ich habe mich gewundert, warum niemand anruft.«
»Ja, vielleicht«, sagte Alexander wenig überzeugt.
»Ich versuche es mal in der Redaktion.«
Aber dort erhielt er die Auskunft, daß man von
Elena noch nichts gesehen oder gehört hatte. Er rief
noch einmal bei ihr zu Hause an und hinterließ auf
dem Anrufbeantworter die Bitte, sie möge sich so
schnell wie möglich bei ihm melden.
»So schnell wie möglich?« fragte Donati, während
Alexander sein Handy wegsteckte. »Hast du etwas
Dringendes mit ihr zu besprechen?«
»Nein, aber ich mache mir Sorgen um sie. Nach
dem, was letzte Nacht bei Sant’Anna los war, doch
wohl verständlich.«
Donati musterte ihn aufmerksam. »Denkst du an
etwas Bestimmtes?«
»Mir ging durch den Kopf, daß es noch immer keine Spur von Laura gibt. Und ich habe an Enrico und
Papst Lucius gedacht. Für meinen Geschmack sind
das einfach zu viele Verschwundene.«
»Nur keine Sorge«, versuchte Donati, ihn zu beruhigen. »Es gibt bestimmt eine einfache Erklärung dafür, daß du Elena derzeit nicht erreichen kannst. Seit
das Handyfieber grassiert, leben wir in dem Wahn,
wer nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit ansprechbar
ist, sei entweder tot oder nicht gut auf uns zu sprechen. Dabei ist das meiste von dem, was tagtäglich in
Millionen von Handys gesäuselt wird, kaum mehr als
akustische Umweltverschmutzung.«
»Du hast sicher recht«, erwiderte Alexander, doch
sein ungutes Gefühl blieb. Kurz bevor sie den Vatikan
erreichten, versuchte er noch einmal, Elena zu erreichen, aber wieder ohne Erfolg.
»Was ist denn hier los?« entfuhr es Donati, als der
Petersplatz mit dem ägyptischen Obelisk, den vor fast
zweitausend Jahren Kaiser Caligula nach Rom geholt
hatte, in Sicht kam. Ungewöhnlich viele Menschen
hatten sich auf dem großen Oval vor der Peterskirche
versammelt, dazu Kamerateams und Übertragungswagen. »Gibt es heute etwas Besonderes im Vatikan?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
Alexander schaute staunend auf die stetig anwachsende Menge, die so groß war, daß die römische Polizei den Autoverkehr abriegelte; nur die Limousine mit
dem Blaulicht wurde durchgewinkt. »Keine Ahnung,
was das zu bedeuten hat.«
Die Antwort erhielten sie ein paar Minuten später
im Apostolischen Palast, als sie Papst Custos, seinem
Privatsekretär Henri Luu, Sicherheitschef Bruno Spadone, Gardekommandant Emil Schmidhauser und
Francesco Buffoni, dem Privatsekretär von Papst Lucius, gegenübersaßen. Luu griff nach einer Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein, der in einer Ekke des Konferenzraums stand. Er hatte einen Nachrichtenkanal gewählt, auf dem eine Sondersendung
lief: Papst Lucius verschwunden . Eine aufgeregt plappernde Journalistin stand auf dem Petersplatz, die Peterskirche dekorativ im Hintergrund, und berichtete
über die große Aufregung, die das Verschwinden des
Heiligen Vaters im Vatikan ausgelöst habe.
»Da hat die Dame leider recht«, seufzte Spadone,
nachdem Luu den Fernseher wieder ausgeschaltet hatte. »Wir haben nicht den geringsten Anhaltspunkt,
was den derzeitigen Aufenthaltsort von Papst Lucius
betrifft. Ärgerlich nur, daß die Medien so schnell auf
die Sache aufmerksam geworden sind.«
»Wie konnte das passieren?« fragte Donati.
»Hier gibt es mehr als eine undichte Stelle. Jeder
gute Vatikanjournalist hat hinter diesen Mauern seine
Informanten.« Spadone richtete seinen Blick auf Alexander. »Stimmt’s, Signor Rosin?«
»Das gehört zu unserem Beruf«, antwortete Alexander. »Schließlich wollen wir möglichst wahr und
umfassend informieren. Tun wir das nicht, hagelt es
auch wieder Schelte.«
»Aber ein wenig die Auflage in die Höhe treiben
möchten Sie doch auch.«
»Zeitungen leben von der verkauften Auflage und
von den Anzeigen, deren Preise wiederum von der
verkauften Auflage abhängen. Verlage bekommen leider keine regelmäßigen Spenden wie zum Beispiel die
Kirche.«
»Aber, aber, wir wollen nicht streiten«, beschwichtigte Luu. »Das Kind ist in den Brunnen gefallen, und
wir müssen uns bemühen, das Beste daraus zu machen. Seine Heiligkeit, Papst Custos, will in zwei
Stunden in St. Peter eine Messe für seinen verschwundenen Amtsbruder abhalten. Eigentlich sollte der
Gottesdienst nicht öffentlich sein. Aber da die Medien
nun ohnehin eingeweiht sind, wird das vatikanische
Fernsehen die Messe live übertragen und allen interessierten Sendern zur Verfügung stellen. Das wird die
Öffentlichkeit für eine Weile beschäftigen und gibt
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