Engelsfuerst
sich langsam einmal um sich selbst und ließ
ihren Blick durch die Höhle schweifen. »… das hier?«
Tommasio applaudierte lautlos. »Sie sind eine kluge
Frau, Elena. Schade, daß Sie sich gegen uns entschieden haben. Ist es nicht eine perfekte Form von ausgleichender Gerechtigkeit, daß wir Gelder der Vatikanbank verwendet haben, um den Orden wiederaufzubauen, den zu zerschlagen der Vatikan sich so bemüht hat?«
»Aber wie ist Ihnen das gelungen?« sprudelte es aus
Elena heraus. »Da muß Ihnen jemand ganz weit oben
in der Vatikanbank geholfen haben.«
»Natürlich«, sagte Tommasio.
»Wer?«
»Immer langsam. Sollten Sie sich dazu durchringen,
zusammen mit Schwester Laura die Geschichte des
Wiedererstarkens von Totus Tuus zu schreiben, werden Sie alle Informationen bekommen, die Sie benötigen.«
»Vielleicht darf ich noch eine Frage stellen«, mischte Lucius sich ein. »Wie haben Sie diesen Ort entdeckt?«
»In jahrelanger, mühevoller Arbeit. Es gab bruchstückhafte Hinweise in alten Überlieferungen. Ich
mußte lange suchen, doch als ich zum ersten Mal vor
dieser Höhle stand, wußte ich, daß ich am Ziel war.
Ich spürte die Kraft der verbannten Engel.«
»Und diese Kraft wollen Sie mit unserer Hilfe neu
entfachen.« Lucius sah Tommasio ernst an. »So etwas
ist schon einmal versucht worden, und das hätte beinahe zu einer Katastrophe geführt!«
»Ja, die Sache damals am Monte Cervialto, ich bin
darüber im Bilde. Aber jener Ort, Engelssee nannte
man ihn wohl, enthielt nicht die geballte Kraft der
Engel. Er war nur, wie soll ich sagen, ein Außenposten, eine von mehreren Stätten, an denen Luzifers
Gefolgsleute von ihren siegreichen Widersachern in
die Verbannung geschickt wurden. Hier aber liegt die
Macht Luzifers selbst verborgen, die Macht des Engelsfürsten, das Engelsfeuer! Ich spüre es ganz deutlich, so wie ihr es spüren solltet, du und dein Sohn.«
Tommasio hatte recht. Enrico fühlte es mit jeder
Faser seines Körpers. War diese Macht dafür verantwortlich, daß er sich so schnell von seiner Schwäche
erholt hatte? Eine andere Erklärung fiel ihm nicht ein.
An diesem Ort war aber noch etwas ungewöhnlich:
die Stimmen in seinem Kopf, die nach ihm riefen.
Hier in der Höhle waren sie lauter geworden, und er
glaubte, zwei verschiedene Arten von Rufen zu unterscheiden. Solche, die ihn lockten, ihn bedrängten, den
Weg fortzusetzen, und solche, die ihn davor warnten.
Lucius faßte es in Worte: »Ich spüre die Macht Luzifers, aber ich spüre auch etwas anderes. Eine Warnung davor, das Engelsfeuer zu entfachen, das schon
so viel Böses über die Menschen gebracht hat.«
Tommasio deutete den Gang entlang, den sie gekommen waren. »Wegen dieser Bilder? Weil die Gefährten Luzifers jene Menschen bestraft haben, die gegen die göttliche Ordnung aufbegehrten? Daran war
nichts Schlechtes, im Gegenteil. Den Gesetzen muß,
wenn nötig, auch mit Gewalt Respekt verschafft werden, nur dann ist ein geregeltes Zusammenleben möglich. Außerdem zeugt es von großer Dummheit, sich
gegen die Engel aufzulehnen; schon allein deshalb hatten diese Menschen nichts anderes verdient.«
»Ist das die neue Ordnung, die Totus Tuus mit Hilfe des Engelsfeuers auf der ganzen Welt errichten
will?« fragte Lucius mit vor Erregung vibrierender
Stimme. »Ein Regime des Terrors, in dem jeder ausgelöscht wird, der nicht dem Bild der Machthaber entspricht? Ich dachte, Sie verabscheuen Diktatoren und
Massenmörder wie Hitler und Stalin?«
»Akzeptiert der Mensch die göttlichen Gesetze,
wird es kein Morden mehr geben.«
»Die göttlichen Gesetze oder die Gesetze Luzifers?«
»Luzifer und seine Brüder verkünden die wahre
Göttlichkeit!«
Tommasio kniff die Augen zusammen, und über
seiner Nasenwurzel bildete sich eine steile Zornesfalte. Enrico war erstaunt. Er hatte es nicht für möglich
gehalten, daß Tommasio überhaupt aus der Fassung
gebracht werden konnte.
»Luzifer und seine Brüder als Verkünder der wahren Göttlichkeit?« fragte Lucius ungläubig. »Das ist
eine Verkehrung von Wahrheit und Lüge, mehr noch,
es ist Blasphemie! Wenn es so wäre, wieso zeigen
dann diese Bilder den Sturz der gefallenen Engel, ihre
Bestrafung durch die Erzengel?«
Tommasio, der sich schon wieder in der Gewalt
hatte, erwiderte kühl: »Ich sagte bereits, daß Gott von
seinem Weg abgekommen ist. Es war sein Sündenfall,
den Menschen den freien Willen zu geben!«
Enrico stutzte, als er ein feines Lächeln im Gesicht
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