Engelsfuerst
Eindruck, daß Enrico etwas Abstand zu ihm und
dem Vatikan brauchte.«
Sie erörterten die konkreten Maßnahmen, die Donati zur Auffindung der Vermißten ergreifen wollte,
dann beendete Custos die Zusammenkunft.
Alexander trat hinaus auf den Gang und versuchte
erneut, Elena zu erreichen.
Donati kam zu ihm. »Und?«
»Fehlanzeige. Ihr Handy schweigt, und in ihrer
Wohnung meldet sich nur der Anrufbeantworter.«
»Sie wird ihre Gründe haben, sich nicht zu melden.
Ich wollte dich fragen, ob du mich zur Vatikanbank
begleitest. Ich bin neugierig, wie weit unser Freund
Pallottino mit den Akten aus Guarduccis Safe gekommen ist.«
»Ich möchte lieber zu Elenas Wohnung fahren und
dort mal nach dem Rechten sehen.«
»Okay, dann treffen wir uns später. Du findest
mich vermutlich bei Pallottino.«
Es dauerte eine Weile, bis Alexander sich durch den
Menschenauflauf vor den Mauern des Vatikans gekämpft hatte. Den ersten Teil des Wegs legte er zu Fuß
zurück, was angesichts der verstopften Straßen die
schnellste Art der Fortbewegung war. Nachdem er die
breite, schnurgerade Via della Conciliazione, die vom
Vatikan zur Engelsburg und zum Tiber führte, verlassen hatte, erwischte er in einer weniger belebten Seitenstraße ein Taxi, das ihn den Gianicolo hinaufbrachte.
Als vor ihm der im Renaissance-Stil gehaltene Palazzo auftauchte, in dessen Dachgeschoß Elena wohnte, spürte er einen unangenehmen Druck in der Brust,
wie eine Faust, die sich darin festkrallte.
Da entdeckte er ein paar Meter weiter Elenas kleinen Fiat 500. War sie also zu Hause? Gab es gar keinen Grund zur Sorge?
Hastig bezahlte er den Taxifahrer mit einem viel zu
großen Schein und eilte zur Haustür. Die war nur angelehnt, was häufig vorkam. Das Schloß war alt und
der Hauseigentümer knauserig. Die Tür schloß nur
richtig, wenn man sie fest zuzog. Jetzt war Alexander
froh darüber. Früher hatte er einen Schlüssel gehabt,
aber den hatte er bei der Trennung zurückgegeben.
Er stürmte die enge Treppe hinauf und blieb verwundert vor der Tür zu Elenas Wohnung stehen.
Auch sie war nur angelehnt, was allerdings sehr ungewöhnlich war. Er hatte es nie erlebt, daß Elena vergessen hätte, ihre Wohnung richtig abzuschließen. Er
wollte schon auf die Klingel drücken, aber dann entschied er sich anders. Statt dessen zog er seine SIG
Sauer P 225 und drückte, die Waffe einsatzbereit in
der Rechten, die Tür vorsichtig auf.
Alles blieb ruhig, die Wohnung war menschenleer.
Seine Sorge wuchs, als er das unberührte Bett sah.
Elena mußte nach den Ereignissen bei Sant’Anna zu
Hause gewesen sein, sonst hätte ihr Fiat nicht vor dem
Haus gestanden. Aber warum war sie nicht zu Bett
gegangen? Weshalb war ihre Wohnungstür nicht verschlossen? Und, vor allen Dingen, wo war sie jetzt?
Er steckte die P 225 zurück in seine Jacke, schaltete
den Anrufbeantworter ein und hörte seine eigene
Stimme und die eines Redaktionsassistenten vom Messagero , der sich nach Elenas Verbleib erkundigte,
sonst nichts.
Ratlos ließ er seinen Blick durch das große Dachzimmer schweifen, das mit Büchern und Stofftieren
angefüllt war. Letztere waren für Elena wohl immer
ein Ersatz für die Familie gewesen, die sie, erzogen in
einem Heim des Ordens Totus Tuus, nicht gehabt
hatte. Er entdeckte einen kleinen Bären, Winnie-thePooh, mit Schlafmütze und Nachthemd, den Elena
einst auf der Piazza Navona gekauft hatte. Als sie damals Totus Tuus erneut in die Hände gefallen und auf
die Insel Brecqhou verschleppt worden war, hatte sie
in dem Bären eine Botschaft für ihn versteckt.
Alexander nahm Winnie-the-Pooh aus dem Sessel,
in dem er mit anderen Stofftieren hockte, und betrachtete ihn aufmerksam von allen Seiten.
»Diesmal hast du keine Nachricht für mich, mein
Freund, leider!«
Er griff nach seinem Handy und rief Donati an.
43
Rom Tempel der Ahnen
E
s geschah, kurz bevor sie die weitläufige Höhle
verließen. Enrico fühlte sich wie von tausend unsichtbaren Händen gepackt und zurückgerissen. Die
Stimmen in seinem Kopf schrien wild durcheinander
und erzeugten einen kaum zu ertragenden Schmerz. Er
preßte die Hände gegen die Ohren, so fest er nur konnte, aber das half nicht. Der Schock hätte Enrico um ein
Haar zu Boden gehen lassen, doch sein Vater fing ihn
auf.
»Auch ich spüre die Kraft, mein Sohn«, sagte Lucius
mitfühlend.
Es drang nur wie aus weiter Ferne zu Enrico durch.
»Die gefallenen Engel wollen uns nicht gehen lassen.
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