Engelsfuerst
Menge
draußen nicht übertragen. Die hier standen, warteten
auf eine Erklärung, auf ein Wort des Heiligen Stuhls,
aber der hüllte sich in Schweigen.
Alexander kehrte den Fenstern den Rücken zu und
setzte sich an den ovalen Tisch. »Vielleicht ist Pallottino in der Menge untergetaucht, aber ihn da finden
zu wollen wäre wie die berüchtigte Suche nach der
Nadel im Heuhaufen.«
Donati, der eben noch telefoniert hatte, legte das
Handy beiseite und machte einen sehr zufriedenen
Eindruck. »Auf jeden Fall wäre es eine vergebliche
Suche. Ich habe gerade erfahren, daß er dabei ist, Rom
in nördlicher Richtung zu verlassen, mit dem Auto.«
Alexander warf seinem Freund einen genervten
Blick zu. »Seitdem wir in Pallottinos Büro waren,
spielst du den Geheimniskrämer, Stelvio. Was weißt
du, das wir nicht wissen?«
»Ich wollte mich nicht zu weit aus dem Fenster
lehnen, sondern erst sicher sein, daß wir seine Spur
haben. Aber wie es aussieht, hat unser Banker einen
entscheidenden Fehler gemacht: Er hat die Unterlagen, die ich ihm zur Durchsicht anvertraut hatte, mitgehen lassen.«
»Sie bezeichnen das als einen Fehler, Dirigente?«
fragte Schmidhauser verwundert, der noch die altertümliche Galauniform trug, die er für die Messe angelegt hatte. »Ich würde das ein überlegtes Vorgehen
nennen. Vielleicht hat Pallottino in den Papieren etwas entdeckt, das für ihn und seine Komplizen gefährlich werden könnte.«
»Aber wir haben Kopien der Unterlagen und werden es über kurz oder lang auch entdecken«, entgegnete Donati. »Pallottino hat die Akten wohl eher mitgenommen, um über das informiert zu sein, was wir
möglicherweise herausfinden.«
Der Gardekommandant legte die Stirn in Falten.
»Meinetwegen, aber was ändert das? Es bleibt trotzdem ein kluger Schachzug.«
»Aus Pallottinos Sicht zweifellos.« Donati lehnte
sich zurück und genoß die Spannung, die sich auf den
Gesichtern der anderen – sogar auf dem des Papstes –
abzeichnete. »Aber er weiß nicht, daß in den Unterlagen eine Wanze sitzt, die uns mit einem Radius von
fünfzig Metern seinen Aufenthaltsort verrät.«
Das verblüffte tatsächlich alle, auch Alexander; Donati hatte ihm nichts von der Wanze erzählt.
Spadone fand zuerst die Sprache wieder und beugte
sich zu Donati vor. »Aber woher wußten Sie, daß Pallottino sich mit den Unterlagen absetzen würde?«
»Das habe ich nicht gewußt. Um aufrichtig zu sein,
ich habe es nicht einmal geahnt. Aber ich habe damit
gerechnet, daß irgend jemand in der Vatikanbank versuchen würde, die Unterlagen verschwinden zu lassen.
Die Wanze sollte uns auf die Spur des Verräters führen.
Daß Pallottino derjenige ist, erstaunt mich selbst ebenso wie wohl alle hier. Aber es paßt ins Bild. Er war erst
der Sekretär von Monsignore Picardi und dann der von
Kardinal Scheffler. Damit war er über alle wichtigen
Vorgänge im IOR im Bilde. Mehr noch, er war vermutlich in der Lage, finanzielle Transaktionen vorzunehmen und es so erscheinen zu lassen, als hätte Scheffler oder Picardi sie veranlaßt. Er selbst hat mir erst heute erklärt, daß so etwas möglich ist. Aber da wußte ich
noch nicht, daß er aus eigener Erfahrung sprach.«
Papst Custos schaltete sich ein. »Steht denn fest,
daß Pallottino die Akten bei sich hat? Könnte das Signal nicht auch von jemand anderem kommen, der
sich der Unterlagen bemächtigt hat?«
»Theoretisch ist das möglich, Heiliger Vater, praktisch halte ich es für so gut wie ausgeschlossen. Die
Unterlagen befanden sich in Pallottinos Büro, und
nicht nur sie sind verschwunden, sondern auch er
selbst. Das alles läßt darauf schließen, daß unser
Funksignal von niemand anderem als ihm ausgeht.
Wichtig ist, daß es uns – hoffentlich – zu denjenigen
führt, die hinter all dem stecken. Und vielleicht auch
zu Ihrem Amtsbruder.«
Alexander hoffte inständig, daß Donati recht hatte
und sie dort, wo Pallottino hinfuhr, auch Elena finden
würden. Seine Sorge um sie und das Kind wurde um
so größer, je länger er zur Untätigkeit verdammt war.
Fast war er froh über die Aufregungen der vergangenen Stunde im Vatikan, lenkten sie ihn doch von der
quälenden Unruhe ab.
»Wie sicher ist die Überwachung des Flüchtigen?«
fragte Luu. »Besteht die Gefahr, daß wir den Kontakt
zu ihm verlieren?«
»Nein«, erklärte Donati. »Wir verfolgen das Signal
mit einem Hubschrauber. Das schließt die Gefahr aus,
daß wir im Verkehrsgewühl abgehängt werden.«
Etwas
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