Engelsfuerst
gewikkelt, und er schien allein zu sein.
Als er sie erreicht hatte, steckte er seine Dienstwaffe
in die Pistolentasche und salutierte vor Lucius. »Gardeadjutant Kübler erwartet Ihre Befehle, Heiliger Vater!«
Lucius war verblüfft. »Gott sei gepriesen dafür, daß
Sie leben! Ihre Kameraden hatten leider nicht so viel
Glück. Wie sind Sie aus dem Kloster entkommen?«
» Entkommen ist der falsche Ausdruck, Eure Heiligkeit. Ich bin beim Kloster über den Rand des
Hochplateaus gestürzt. Daß ich überlebt habe, grenzt
wohl – Verzeihung – an ein Wunder. Ich kann selbst
nicht genau sagen, wie. Als ich wieder zu mir kam,
hing ich ein gutes Stück unterhalb des Klosters in einer Baumkrone. Da ich im Kloster den Feind wußte,
habe ich den Weg nach unten eingeschlagen, um irgendwo Hilfe zu holen. Leider ist mein Handy wohl
bei dem Sturz kaputtgegangen, so daß ich auf diesem
Weg keinen Alarm geben konnte. Was soll ich sagen,
ich habe mich in dieser Einöde verlaufen. Die Nacht
habe ich in einer kleinen Höhle verbracht. Heute bin
ich den ganzen Tag herumgeirrt, und dann habe ich
den Mann in der seltsamen Uniform gesehen und einen der Mönche aus San Gervasio in ihm erkannt. Ich
bin ihm gefolgt, und er hat mich zu Ihnen geführt.«
»Das ist ja eine regelrechte Odyssee«, sagte Enrico.
»Und es zeigt uns, daß wir nicht weit von San Gervasio entfernt sein können.« Bekümmert blickte er auf
seinen schmerzenden Fuß. »Allerdings wohl zu weit
für einen Quasi-Einbeinigen.« Der Schweizer sah prüfend zu den Totus-Tuus-Männern, die sich eifrig zu
ihnen vorarbeiteten. »Ich werde mir die Maschinenpistole von dem Toten holen. Damit kann ich die da eine Weile aufhalten. Ein paar von ihnen werden sicher
ins Gras beißen, und das wird ihren Eifer bremsen.«
»Nein!« sagte Lucius mit ungewohnter Härte.
»Heute sind schon zwei Menschen gestorben, es sollten nicht noch mehr werden.«
Kübler zeigte entsetzt auf die Verfolger. »Aber die
haben uns bald erreicht, und dann werden sie uns einkesseln!«
»Vielleicht finden wir einen anderen Weg, sie aufzuhalten«, sagte Lucius leise und sah seinen Sohn an.
»Mit unseren besonderen Kräften, Enrico.«
»Was meinst du, Vater?«
»Du kannst Dinge aus der Vergangenheit sehen,
aber du kannst auch bewirken, daß andere Menschen
Dinge sehen. Wir sollten uns auf die Männer dort und
auf die Felsen konzentrieren.«
Lucius blickte starr geradeaus, den Verfolgern entgegen; er wirkte mit einem Mal völlig entrückt. Enrico
spürte, wie sich in seinem Kopf ein Bild formte: Felsen, die sich von den Hängen lösten und eine Lawine
in Gang setzten. Da verstand er, was sein Vater gesagt
hatte, und begann sich gleichfalls ganz darauf zu konzentrieren. Seine Gedanken und die von Lucius verschmolzen miteinander und erzeugten das Bild herabstürzender Felsen, die, umgeben von einer gigantischen Staubwolke, auf die Totus-Tuus-Männer zurollten.
Auch die Verfolger sahen die Lawine, die allein den
Gedanken von Lucius und Enrico entsprang. Sie empfanden sie als höchst real, lebensgefährlich, und ergriffen in Panik die Flucht. Gegen Menschen konnte man
kämpfen, aber nicht gegen eine Steinlawine.
Die geistige Anstrengung nahm Enrico sehr mit.
Als die Totus-Tuus-Männer außer Sichtweite waren,
lehnte er sich gegen einen Felsen und schloß die Augen. Das Bild der Lawine verschwand aus seinem
Kopf, aber dafür kamen andere und beschäftigten seinen angespannten Verstand, Bilder aus der Vergangenheit …
Die Hitze an dem großen Schlund im Tempel der Ahnen wurde unerträglich, und Vel wollten die Sinne
schwinden, aber Larthis Nähe gab ihm Kraft. Sie
sprach zu ihm, auch wenn sie die Lippen nicht bewegte. Ihre Worte waren in seinem Kopf: Wir müssen so
tun, als machten wir mit Larth gemeinsame Sache.
Aber wenn er und die bösen Geister, die hier in der
Erde schlafen, sich ihres Sieges sicher sind, müssen wir
den rechten Augenblick abpassen und sie vernichten.
Vel verstand sie, aber eine tiefe Furcht ergriff ihn. Die Geister der Ahnen sind mächtig. Selbst wenn wir
den Kampf gewinnen, kann das unseren Tod bedeuten.
Larthi sah ihn an und lächelte. Vielleicht liegt in unserem Tod der Sieg, Liebster. Wenn das so ist, dürfen
wir den Preis nicht scheuen. Aber vielleicht stehen uns
diejenigen unter den Ahnen, die schon einmal gegen
das Böse gekämpft haben, bei. Wie es auch sei, wir
müssen unser Volk vor der Herrschaft der Geflügelten
und einem mörderischen Krieg
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