Engelsfuerst
Sohn. Fast drei
Stunden lang hast du die Übermacht aufgehalten, ohne einen Feind zu töten oder zu verletzen.«
»Hoffentlich Zeit genug für Elena, Francesco und
den Gardisten.«
»Sie werden sicher entkommen. Ich habe für sie gebetet.«
»Hast du auch für uns gebetet?« fragte Enrico und
dachte an das, was vor ihnen lag.
Er bemühte sich, tatsächlich so mutig zu sein, wie
sein Vater und bei ihrem Abschied auch Elena es von
ihm behauptet hatten. Aber das, was Lucius und er
tun mußten, erschreckte ihn, weil es so endgültig war.
Wäre sein Vater nicht an seiner Seite gewesen, hätte
ihn der Mut vielleicht verlassen.
Lucius erhob sich und umarmte seinen Sohn. »Ich
habe auch für uns gebetet, damit Gott uns zur Erledigung der Aufgabe, die vor uns steht, mit Kraft, Mut
und Weisheit segnet. Vertrau dem Herrn, Enrico, er
wird uns beistehen!«
Die schemenhaften Gestalten kamen näher, aber sie
bewegten sich sehr langsam voran in der Erwartung,
jeden Augenblick erneut beschossen zu werden. Erst
auf den letzten Metern wurden sie schnell, nachdem
ein paar kurze Kommandos hin und her geflogen waren. Sie stürmten heran, umzingelten Vater und Sohn
und bedrohten sie mit ihren Waffen.
»Warum habt ihr nicht mehr geschossen?« fragte
ein hagerer Mann, den der weiße Krebs auf der linken
Schulter als Ordensoffizier auswies; es war Ambrosio,
den Enrico im Kloster San Gervasio als stoischen
Koch kennengelernt hatte.
»Keine Munition mehr«, sagte Enrico und deutete
auf die leergeschossene Waffe zu seinen Füßen.
»Wo sind die anderen?« fragte Ambrosio, nachdem
er die Waffe an sich genommen hatte.
»Nicht hier.«
»Das sehe ich. Wo sind sie?«
»Keine Ahnung.«
»Und Giuseppe? Er wollte euch den Weg abschneiden.«
Enrico zeigte zu dem großen Felsen, auf dem Giuseppe gestorben war und der sich jetzt als dunkler
Koloß nur noch umrißhaft aus der Dämmerung hervorhob.
»Der liegt dahinten. Tot.«
»Wer hat ihn getötet?«
Nun antwortete Lucius: »Ein mutiger Mann und
pflichtbewußter Soldat.«
Ambrosio, der offensichtlich den Befehl führte, ließ
seine Männer die nähere Umgebung absuchen, um
festzustellen, ob die anderen Flüchtlinge sich hier versteckten. Nach zehn Minuten brach er die Suche ab
und befahl, Giuseppes Leiche zu den Fahrzeugen zu
bringen. Lucius und Enrico mußten sich dem Trupp
anschließen. Zwei Ordenssoldaten stützten Enrico,
dem jeder Schritt Höllenqualen verursachte.
Nach ungefähr zwanzig Minuten erreichten sie die
inzwischen vollkommen dunkle Talsohle, wo mehrere
schwere Geländewagen warteten.
Enrico und Lucius mußten in verschiedene Fahrzeuge einsteigen, jeder von ihnen streng bewacht,
dann ging es zurück zum Lager von Totus Tuus.
Enrico dachte an das Bevorstehende und versuchte,
innere Ruhe zu finden, aber es wollte ihm nicht recht
gelingen. Er schloß die Augen, faltete die Hände und
begann zu beten.
52
Rom, Militärflugplatz Ciampino
D
ie kleine Halle etwas abseits der Start- und Landebahnen war während der letzten Stunden zu
einem provisorischen Lagezentrum umfunktioniert
worden. Kartentische, Monitore und Funkgeräte
wurden von elektrischem Licht beleuchtet, denn über
Rom war längst die Abenddämmerung hereingebrochen. Alexander stand an einem der kleinen Fenster
und blickte hinaus. Ein Verkehrsflugzeug hob drüben
auf dem zivilen Teil des Flughafens ab und bohrte sich
mit vorgereckter Schnauze in den Himmel. Er schaute
den Positionslichtern nach, bis das Flugzeug in den
Wolken verschwand, und wünschte einen Moment
lang, er säße in der Maschine und könnte wegfliegen,
irgendwohin. Ihn hatte das Gefühl beschlichen, daß
Rom ihm nicht mehr zu bieten hatte als Enttäuschungen und Sorgen.
Plötzlich klatschte ein ergrauter Mann in der dunklen Uniform der Carabinieri in die Hände. Er saß vor
einem Empfangsgerät, auf dessen schwarzem Schirm
ein grüner Punkt blinkte.
Wie elektrisiert drehte Alexander sich zu ihm um,
denn der grüne Punkt markierte die Position von Fabio Pallottino. Der hatte sich, seit er Rom verlassen
hatte, in nördlicher Richtung bewegt, zunächst auf der
Autobahn, dann war er hinter Orvieto in Richtung
Perugia abgebogen und jenseits Perugias auf Nebenstraßen in die Berge gefahren. Je weiter er auf kleinen
und kleinsten Bergstraßen fuhr, desto deutlicher wurde eins: Sein Ziel lag irgendwo in der Gegend von San
Gervasio.
»Was gibt es, Inspettore?« fragte Donati den Carabiniere, der Pallottinos Weg seit Stunden
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