Engelsfuerst
Verfolgern hierher geflohen ist. Sie wollte sich verstecken und ahnte nicht,
daß dieser Gebäudetrakt für sie zur Sackgasse werden
würde.«
»Und dann kamen die Unbekannten, um Picardi zu
töten und Elena niederzuschlagen?« hakte die Polizistin nach.
Alexander nickte. »So oder so ähnlich muß es sich
abgespielt haben.«
»Warum ist Signorina Vida nicht auch getötet wor
den?«
»Vielleicht mußte Picardi sterben, weil er ihr etwas
verraten wollte. Wenn die Mörder wußten, daß Elena
noch nicht im Besitz der Information war, hatten sie
keinen Grund, sie zu töten. Außerdem konnten sie
der Polizei mit Elena eine Verdächtige präsentieren,
die von ihnen ablenkt. Wer anders als die wahren
Mörder soll die Carabinieri verständigt haben?«
»Ah«, machte Donati. »Du spielst auf den anonymen Anrufer an.«
»Ja. Eine dämliche Geschichte, wenn man genauer
darüber nachdenkt. Verdächtige Gestalten hier beim
Kloster, das will ich ja vielleicht noch glauben. Aber
wer will die mitten in der Nacht bei dem Unwetter
bemerkt haben? Jemand, der das ganze Stück von
Rom hier herausgefahren ist, um seinen Hund Gassi
zu führen? Lächerlich!«
»Warum haben die mysteriösen Unbekannten Elena überhaupt verfolgt?« fragte Micaela weiter.
Alexander dachte kurz nach. »Möglicherweise war
sie vor Picardi hier. Die Mörder haben auf den Monsignore gewartet und mußten Elena außer Gefecht
setzen, um nicht von ihr bemerkt und verraten zu
werden.«
»So könnte es gewesen sein«, sagte Donati. »Aber
wie wir von Dr. Gearroni erfahren haben, ist der
Fundort der Leiche mit hoher Wahrscheinlichkeit
auch der Tatort. Wie paßt das in deine Geschichte,
Alex?«
»Die Mörder könnten draußen auf Picardi gewartet,
ihn dort überwältigt und dann ins Kloster geschleppt
haben, um ihn hier zu töten. Das würde die Blutergüsse erklären.«
Donati wirkte zufrieden. »Deine Theorie gefällt
mir. Sie bringt alle bekannten Fakten in Einklang.«
Micaela sah die beiden Männer abwechselnd an und
wiegte unschlüssig den Kopf. »Das schon, aber solange
die Fakten so spärlich sind, ist es leider bloße Theorie.«
Alexanders Handy meldete sich mit einer quäkigen
Version von Three Coins in a Fountain . Er zog es aus
einer Innentasche seiner Allwetterjacke und stellte, als
er aufs Display sah, zu seinem Erstaunen fest, daß der
Anruf aus dem Vatikan kam. Er entfernte sich ein paar
Schritte von den anderen und meldete sich mit einem
kurzen »Ja?«
»Signor Rosin, gut, daß ich Sie erreiche«, sagte eine
Stimme, die ihm bekannt vorkam. »Könnten Sie heute
noch in den Vatikan kommen, möglichst bald?«
»Wer spricht da, bitte?«
»Oh, Verzeihung, hier ist Henri Luu.«
Der franko-vietnamesische Privatsekretär von Papst
Custos. Alexander erinnerte sich gut an den drahtigen
Mann, der nie nervös zu werden schien und seinem
Papst so manche schwere Last abnahm. Aber er hatte
Luu seit mindestens einem Jahr nicht mehr gesprochen und deshalb seine Stimme nicht gleich erkannt.
»Was gibt es Dringendes, Don Luu?«
»Das möchte ich ungern am Telefon besprechen.
Haben Sie etwas Zeit für Seine Heiligkeit?«
»Immer«, sagte Alexander, obwohl er sich lieber
um den Mordfall gekümmert hätte und darum, Elena
von dem Tatverdacht zu befreien. »Ich bin so gut wie
unterwegs.«
Als er das Gespräch beendet hatte, trat Donati zu
ihm.
Offenbar hatte er einen Teil der Unterhaltung mitgehört, denn er fragte: »War das Don Luu?«
»Ja, Papst Custos möchte mich sehen. Und um deine nächste Frage vorwegzunehmen, den Grund hat
Luu mir nicht genannt. Aber wer weiß, vielleicht
bringe ich im Vatikan etwas über Picardi in Erfahrung, das uns in dieser Sache weiterhilft. Willst du
mitkommen?«
»Nein, ich sehe mich hier noch etwas um und fahre
später mit Micaela zurück in die Stadt. Laß von dir
hören, wenn es Neuigkeiten gibt.«
Alexander versprach es und lief durch den Regen,
der stärker geworden war, zu seinem Wagen. Beim
Wenden mußte er aufpassen, daß er nicht im Morast
steckenblieb. Schließlich hatte er es geschafft, und
bald waren die Ruinen von Sant’Anna nur noch ein
kleiner werdender Fleck im Rückspiegel.
Er verspürte darüber eine Erleichterung, die er sich
selbst nicht recht erklären konnte. Vielleicht lag es an
der Vorstellung, was Elena in dem alten Gemäuer
Schreckliches erlebt hatte und daß es sie um ein Haar
das Leben gekostet hätte. Vielleicht war es aber auch
nur sein schlechtes Gewissen, das ihm ständig sagte,
daß er Elena in Stich
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