Engelsfuerst
bestattet werden durften, hatten die vornehmen Patrizierfamilien hier draußen ihre nicht minder vornehmen Gräber erbaut, aus denen im Laufe der Zeit regelrechte Totenstädte entstanden waren. Die BenedettoNekropole war erst kürzlich entdeckt worden, auf
dem Gelände einer längst geschlossenen Möbelfabrik.
Ihr Eigentümer, ein gewisser Luigi Benedetto, hatte es
verstanden, der Obrigkeit für das Grundstück eine
Stange Geld abzuluchsen, und prompt hatten die Medien die Totenstadt nach ihm benannt. Bevor die Archäologen ihre Arbeit aufnehmen konnten, mußten
zunächst die Gebäude abgerissen werden, womit erst
wenige Tage zuvor begonnen worden war.
Alexander wußte das so genau und kannte sich auf
dem Gelände aus, weil er vor kurzem hier gewesen
war, um für einen Artikel über die Nekropolen an der
Via Appia zu recherchieren.
Er bremste abrupt, glich das Schlingern des Wagens durch geschicktes Gegenlenken aus und bog in
die Zufahrt zum Gelände der einstigen Möbelfabrik
ein. Erwartungsgemäß arbeitete am Samstag niemand
hier. Die teilweise bereits eingerissenen Gebäude
blickten traurig auf die Maschinen des Abbruchkommandos. Die Anlage wirkte um vieles trostloser
als die Ruinen von Sant’Anna, vielleicht weil den Fabrikgebäuden jene architektonische Schönheit fehlte,
die dem Kloster selbst in seinem verfallenen Zustand
noch anhaftete.
Ein erneuter Blick in den Rückspiegel zeigte Alexander, daß der Fiat immer noch hinter ihm war. Er
konzentrierte sich auf die schmale Straße, die in einen
weitläufigen Platz mündete. Mit gedrosselter Geschwindigkeit fuhr er um die großen Abrißmaschinen
herum, dann hielt er hinter einem langgestreckten Gebäude, das wohl als nächstes an der Reihe war. Er
stieß die Fahrertür auf, sprang nach draußen und hastete das letzte Wegstück zurück.
In das beständige Trommeln des Regens mischte
sich das Motorengeräusch des dunkelblauen Fiats, der
fast gegen einen Sattelschlepper mit aufgeladenem
Schaufelbagger geprallt wäre, als der Fahrer abbremste. Alexander, der hinter einem Schutthaufen kauerte,
versuchte vergeblich, das Gesicht hinter der Windschutzscheibe zu erkennen.
Zweifel an der Klugheit seines Handelns stiegen in
ihm auf. Wenn das die Männer waren, die in der vergangenen Nacht Elena aufgelauert hatten, mochten sie
bewaffnet sein. Alexander trug keine Waffe bei sich,
und das bereute er jetzt. Aber seine Erregung und der
Wunsch, Licht in den Mord an Rosario Picardi zu
bringen, besiegten seine Zweifel. Er wollte Elena helfen, weil er sie liebte – und weil auch sie ihn damals,
als sie einander kennenlernten, aus dem Polizeigewahrsam befreit hatte.
Er duckte sich tiefer, als der Fahrer des Fiats ausstieg, vermutlich um sich zu orientieren.
Der Mann schien allein zu sein. Er näherte sich Alexanders Versteck. Alexander widerstand der Versuchung,
hinter dem Schutthaufen hervorzulugen, um mehr von
seinem Verfolger zu sehen. Nur Geduld, gleich würde
der Bursche ohnehin in sein Blickfeld kommen.
Das erste, was er von dem anderen sah, waren von
Regen und Schmutz verdreckte Schuhe, Bluejeans und
eine abgewetzte schwarze Lederjacke, die bis über die
Hüften reichte.
Alexander schnellte hoch, sprang den anderen an
und riß ihn zu Boden. Eng ineinander verschlungen,
wälzten sie sich durch den Matsch. Dicht vor sich sah
Alexander ein bärtiges Gesicht, das ihm zwar bekannt
vorkam, das er aber so schnell nicht einordnen konnte.
Der Bärtige konnte sich aus der Umklammerung
lösen und erhob sich schwankend. Bevor er aber Abstand gewinnen konnte, packte Alexander ein Bein des
Mannes und brachte ihn erneut zu Fall. Alexander
schwang sich rittlings auf ihn und ballte die Rechte,
um ihm einen Schlag zu versetzen.
»Hör auf, Rosin!« krächzte der Mann unter ihm,
und die Stimme erschien ihm noch vertrauter als das
Gesicht. »Ich will dir nichts tun, verdammt!«
Die Faust schon zum Schlag erhoben, hielt Alexander inne. Jetzt wußte er, wer sein Verfolger war.
»Emilio!«
Emilio Petti, den er noch nie mit Bart gesehen hatte,
setzte eine vorwurfsvolle Miene auf. »Eine nette Art
hast du, einen alten Kumpel zu begrüßen!«
»Ich habe im Rückspiegel keinen alten Kumpel gesehen, sondern jemanden, der mich verfolgte«, erwiderte Alexander und ließ die Faust sinken.
»Ich wollte nur mit dir sprechen, Mann.«
»Hast du meine Telefonnummer nicht?«
Unter dem Bart zeigte sich ein verlegenes Grinsen.
»Na schön, erst mal wollte ich sehen, wohin
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